Die Meinungsfreiheit und das Recht auf freie journalistische Berichterstattung stehen im Mittelpunkt einer Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht des Journalisten Marco Bras dos Santos (Az. 2 BvR 950/23). Der Kohlekonzern MIBRAG hatte ihn wegen seiner Berichterstattung aus einem Braunkohletagebau bei Leipzig wegen Hausfriedensbruchs angezeigt. Anlass war die Blockade von Kohlebaggern durch das Aktionsbündnis Ende Gelände im November 2019. Die MIBRAG überzog daraufhin explizit meinungsbildende Multiplikator:innen mit Strafverfahren – wie etwa die damalige Pressesprecherin von Ende Gelände, Sina Reisch, die sächsischen Landtagsabgeordneten Juliane Nagel und Marco Böhme und mehrere Medienschaffende.
Brandgefährliche Einschüchterungsstrategie der fossilen Industrie
In der Klageschrift des Anwalts von Bras dos Santos wird darauf verwiesen, dass es sich hier um SLAPP handele, also um den Missbrauch des Rechts, um Kritiker:innen einzuschüchtern und damit elementare demokratische Rechte auszuhebeln. „Wer Kritik äußert, wird angezeigt. Das ist die Logik der fossilen Konzerne“, betont Reisch. Der Kohlekonzern MIBRAG fokussiere dabei die juristische Verfolgung öffentlich wirksamer Personen. Für Reisch, die Pressesprecherin der Blockade-Aktion von damals war, weise das Vorgehen der fossilen Industrie auf eine antidemokratische Grundhaltung hin: „Es ist eine reine Einschüchterungsstrategie und es ist brandgefährlich.“
Heftiger Eingriff in urdemokratische Rechte
Rita Tesch, heute Sprecherin von Ende Gelände, weist darauf hin, dass Aktive in der Klimagerechtigkeitsbewegung tagtäglich Repression wie Strafanzeigen wegen Hausfriedensbruchs in Kohlegruben erleben müssten. Das sei besonders lächerlich, weil Energiekonzerne dort schon längst alle Häuser und jeglichen Frieden zerstört hätten. Beliebt seien auch zivilrechtliche Schadensersatzforderungen von fossilen Konzernen, die meinten, dass Klimaaktionen ihren Profitinteressen in die Quere kommen würden. „Gemeinsam mit den bürgerlichen Gerichten greifen sie die Versammlungsfreiheit, die Presse- und die Meinungsfreiheit an. Aber wir lassen uns davon nicht einschüchtern“, sagt Tesch. Dass nun auch Journalist:innen mundtot gemacht werden sollen, sei aber ein „heftiger Eingriff in urdemokratische Rechte“.
SLAPP: Strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung
SLAPP steht für „Strategic Lawsuits against Public Participation”. Dabei handelt es sich um eine Konzern-Strategie, die kritische Stimmen einschüchtern und Kritik aus der Öffentlichkeit verbannen soll. Betroffen sind aktivistische Einzelpersonen, Journalist:innen, Medien und Organisationen, die im öffentlichen Interesse auf Missstände hinweisen. Sie alle sollen mit langen Gerichtsprozessen, hohen Kosten und der Angst vor Verurteilung angegriffen und an ihrer Arbeit gehindert werden, kritisiert Ende Gelände.
Bras dos Santos: SLAPP-Klagen haben zu wenig Aufmerksamkeit
Der Leipziger Journalist Marco Bras dos Santos, der die Verfassungsbeschwerde nach seiner Verurteilung durch ein sächsisches Amtsgericht eingereicht hat, findet, dass SLAPP-Klagen, die sich im Schatten der Gesetzgebung gegen die Presse richten, bislang zu wenig Aufmerksamkeit hatten. Vom Bundesverfassungsgericht erhoffe er sich eine zitierfähige Handreichung für nachgeordnete Gerichte und Behörden. Matthias von Fintel, Leiter des Bereichs „Medien, Journalismus und Film“ im ver.di-Bundesvorstand, ergänzt: „Journalist:innen sind durch Artikel 5 des Grundgesetzes in ihrer Berufsausübung besonders geschützt und müssen für Reportagen und Recherchen auch dahin gehen, wo andere etwas verheimlichen wollen. Der Protest im Tagebau der MIBRAG bei Leipzig war ein Ereignis, über das zu Recht zu berichten war. Der Vorwurf des Hausfriedensbruchs ist gegen einen über diesen Protest für die Öffentlichkeit berichtenden Journalisten ungerechtfertigt. Die Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht gegen die erstinstanzliche Gerichtsentscheidung wird hoffentlich den zu erwartenden Erfolg für die Pressefreiheit haben.“
Ein zivilgesellschaftliches Bündnis warnt schon seit langem davor, dass solche Einschüchterungsklagen wesentliche Grundrechte und damit die Demokratie gefährden. Konkret mahnt Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen in Deutschland und Teil des Bündnisses gegen SLAPPs, an: „Zur Pressefreiheit gehört, dass Journalist:innen frei und ungehindert berichten können – auch und gerade von zivilgesellschaftlichen Protesten. Wenn sie wegen ihrer Arbeit mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen müssen, hat das eine abschreckende Wirkung. Medien werden es sich dann in Zukunft zweimal überlegen, ob sie sich solche Berichterstattung überhaupt leisten können. Das wäre ein fatales Signal.“
Mathias Rittgerott, von Rettet den Regenwald e.V., der eine Einschüchterungsklage des Palmölkonzerns Korindo nach drei Jahren Prozessdauer vor dem Landgericht Hamburg erfolgreich abwehren konnte, fügt aus eigener Erfahrung an: „SLAPPs sind eine Pervertierung unseres Rechtsstaats und eine Gefahr für die Demokratie. Es stehen nicht die Täter von Umweltzerstörung vor Gericht, sondern diejenigen, die sich für eine gerechtere Gesellschaft und die Natur einsetzen. Doch wer Aktivisten, Organisationen und Journalisten slappt, attackiert uns alle. Deshalb wehren wir uns gemeinsam gegen SLAPPs. Unser Fall hat gezeigt, dass auch kleine Organisationen wie wir nicht vor Konzernen einknicken müssen. Wenn Manager meinen, Aktivisten und Journalisten einschüchtern zu können, täuschen sie sich.“
(ANF/EG/PM)
Titelfoto: Blockade von Kohlebaggern im November 2019 | Jens Voller / Ende Gelände