Vor einem türkischen Gericht in der nordkurdischen Metropole Amed (türk. Diyarbakir) hat diese Woche der fünfte Verhandlungstag im Prozess gegen die Journalistin Ayşegül Doğan stattgefunden. Die ehemalige Programmkoordinatorin des Fernsehsenders IMC TV wird der Mitgliedschaft sowie Gründung und Leitung einer bewaffneten Organisation – gemeint ist der legale zivilgesellschaftliche Zusammenschluss KCD – beschuldigt. Bei einer Verurteilung droht der Journalistin eine Gefängnisstrafe von bis zu 22,5 Jahren.
Die Anschuldigungen gegen Ayşegül Doğan, Tochter des 2007 verstorbenen Politikers und Parlamentsabgeordneten Orhan Doğan, basieren im Grunde auf ihren Tätigkeiten als Journalistin für IMC TV. So sind neben Interviews mit Verantwortlichen des „Demokratischen Gesellschaftskongresses“ (kurd. Kongreya Civaka Demokratîk, KCD) und Doğans Teilnahme an KCD-Veranstaltungen auch illegal abgehörte Telefongespräche der Journalistin mit Delegierten der Organisation Gegenstand der Anklageschrift. Den Sender IMC TV gibt es seit September 2016 nicht mehr. Die Schließung des linken Kanals war eine Folge des Lizenzentzugs, die der „Hohe Rundfunkrat“ (RTÜK) auf Grundlage eines Notstandsdekrets verfügt hatte. Die Entscheidung des RTÜK wurde vom Nationalen Sicherheitsrat der Türkei angeordnet, der kurz zuvor im Rahmen des Ausnahmezustands getagt hatte.
Die Verhandlung gegen Ayşegül Doğan fand am Mittwoch in Abwesenheit der Angeklagten vor der 9. Schwurgerichtskammer in Amed statt. Ein Antrag ihrer Verteidiger Mehmet Emin Aktar und Ahmet Özmen, aus abgehörten Telefonaten erstellte Protokolle eines anderen Verfahrens als Unschuldsbeweis in diesem Prozess zuzulassen, wurde abgelehnt. Das Gericht vertagte sich für das Plädoyer der Verteidigung auf den 7. Dezember.
Käseproduktion Bedrohung für die nationale Sicherheit?
Wie die Repression gegen kurdischen Journalismus aussieht, zeigt auch ein kafkaeskes Beispiel aus Şirnex (Şırnak). Dort wurde am Donnerstag die Korrespondentin der Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA), Zeynep Durgut, bei Recherchen über traditionellen Käse vorübergehend festgenommen. Dass der türkische Staat mit aller Macht versucht, journalistische Berichterstattung aus den kurdischen Regionen zu verhindern, ist allgemein bekannt. Dass sogar die Dokumentation der Produktion von kurdischem Höhlenkäse ein sicherheitsrelevantes Thema für die Sicherheitsbehörden darstellt und eine Journalistin von der Militärpolizei festgenommen wird, ist neu. Wie zwischenzeitlich bekannt geworden ist, wurde Durgut von paramilitärischen Dorfschützern bei den Behörden denunziert, bevor sie festgenommen wurde.
Zeynep Durgut | Foto: MA
Bei einem anschließenden Verhör auf der Wache wurden sämtliche ihrer Bilder gelöscht, Durgut selbst wurde unter Druck gesetzt, ihre Arbeit einzustellen. Erst nach einer militärisch angeordneten Gesundheitskontrolle in einem Krankenhaus wurde sie entlassen. Zuletzt waren am 6. Oktober vier Journalist*innen der Nachrichtenagenturen Mezopotamya und Jin News in Wan (Van) wegen ihrer Berichterstattung zu der sogenannten Hubschrauber-Folter an zwei kurdischen Bauern festgenommen worden, die einer der beiden nicht überlebte. Sie befinden sich weiterhin im Gewahrsam.