Die kurdische Journalistin Beritan Canözer ist nach mehr als drei Tagen in Polizeigewahrsam in Amed (tr. Diyarbakir) wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Im Fall von über fünfzig Personen, die ebenfalls bei den Razzien vom letzten Freitag festgenommen worden waren, dauert die polizeiliche Befragung weiter an. Die Maßnahme findet auf Grundlage eines von der Generalstaatsanwaltschaft in Amed geführten Ermittlungsverfahrens gegen mehr als hundert Medienschaffende, Politiker:innen und Aktivist:innen statt, denen „Organisationspropaganda“ und „Aktionen und Aktivitäten im Namen der Organisation“ – also der PKK – vorgeworfen wird. Die vermeintlichen Straftaten sollen in digitalen Netzwerken wie Twitter, Facebook und Instragram begangen worden sein.
Da über die Ermittlungsakte noch vor der Festnahmewelle eine Geheimhaltungsverfügung verhängt wurde, sind weitere Einzelheiten zu dem Verfahren weiter unklar. Inzwischen zeichnet sich ab, dass auch bei diesen Ermittlungen die Beschuldigungen konstruiert sind. Wie Beritan Canözer äußerte, sei sie von der Polizei mit Fragen konfrontiert worden, die ihr bereits bei früheren Festnahmen gestellt wurden. Eine sticht besonders ins Auge: „Die Frage nach der Person, die sich hinter dem Namen Bêrîtan Sarya verbirgt.” Die Namensschwester von Canözer ist ebenfalls Journalistin und gleichzeitig ANF-Korrespondentin im Autonomiegebiet von Nord- und Ostsyrien. Ihre Accounts beim Kurznachrichtendienst Twitter werden seit Jahren in der Türkei blockiert und können nur noch über sogenannte VPN-Dienste erreicht werden. Ein Twitter-Konto von Bêrîtan Sarya wurde jüngst sogar von einem Standort in der Türkei gehackt.
„Ich gab der Polizei zum wiederholten Mal zu verstehen, dass Bêrîtan Sarya und ich nicht ein und dieselbe Person sind”, erklärte Canözer nach ihrer Entlassung. Warum sie erneut zu ihrer Kollegin befragt worden ist, könne sie sich nicht erklären. Die Journalistin Bêrîtan Sarya arbeitet für ANF in Rojava in der Tradition der freien kurdischen Presse und verfügt unter anderem über fundierte Informationen über die Strukturen der türkischen Besatzungstruppen und ihrer Milizen. Mehrfach hat sie Interviews mit inhaftierten Dschihadisten geführt, darunter dem Kölner Yunus Emre Sakarya, der 2012 an dem Anschlag auf das US-Konsulat im libyschen Bengasi beteiligt war.
Wer ist Beritan Canözer?
Die 26-jährige Journalistin Beritan Canözer arbeitet als Korrespondentin für JinNews. Im Fokus der feministischen Nachrichtenagentur mit einem ausschließlich weiblichen Team liegt die Auseinandersetzung mit Patriarchat, patriarchaler Gewalt und Sexismus sowie der Kampf der Frauenbewegung und gesellschaftlichen Alternativen. Vor wenigen Tagen wurde die Webseite von JinNews zum mittlerweile 32. Mal von den türkischen Verfolgungsbehörden blockiert, doch auch die Belegschaft wird regelmäßig zum Ziel staatlicher Repression. Canözer selbst wurde bereits mehrfach festgenommen. 2018 wurde ein Terrorverfahren wegen des Vorwurfs der „Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation“ gegen sie eingeleitet. Die Staatsanwaltschaft forderte eine Freiheitsstrafe von siebeneinhalb bis 15 Jahren Haft, Ende 2019 wurde Canözer freigesprochen. Mit 21 Jahren saß sie einige Monate wegen „Terrorverdacht” in Untersuchungshaft. Die Begründung: Sie sei bei einer Personenkontrolle „nervös” gewesen. Im Juni 2020 wurde Canözer wegen Twitter-Kommentaren zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehneinhalb Monaten verurteilt.