Attentäter auf US-Botschafter in Türkei geflohen | Teil II

Der IS-Dschihadist Yunus Emre Sakarya wurde, obwohl dem türkischen Geheimdienst und der Polizei seine IS-Mitglied bekannt war und er per Interpol gesucht wurde, nach jeder Festnahme wieder freigelassen.

Wir veröffentlichen den zweiten Teil des Gesprächs mit dem inhaftierten IS-Dschihadisten Yunus Emre Sakarya. In diesem Teil geht es um seine Arbeit als IS-Logistiker in der Türkei. Der IS-Dschihadist und deutsch-türkische Staatsbürger befand sich zur Behandlung in der Türkei und wurde dort zum Verantwortlichen für die elektronische Militärausstattung der Terrormiliz. Wir fahren nun fort mit den Aussagen von Yunus Emre Sakarya. Er erzählt einige wichtige Fakten über seine Zeit in Deutschland, Ägypten, Libyen, Syrien, aber vor allem auch in der Türkei.

Im Dezember 2013 ging er wegen der Behandlung seiner Frau und der bevorstehenden Geburt seines Kindes in die Türkei. Dort war er von Sommer 2014 bis Anfang 2017 in der Beschaffung von Militärmaterial für den sogenannten Islamischen Staat (IS) tätig. Er beschaffte dem IS über eine in der Türkei gegründete Firma Militärmaterial aus der Türkei, aus Deutschland, Amerika, China, Hongkong, Österreich und Russland. Sakarya brachte selbst und später über seine Firmen, Drohnen, Ferngläser und alles Mögliche andere Material über offizielle Grenzübergänge zum IS nach Syrien. Obwohl er in der Türkei immer wieder festgenommen worden war, wurde er jedes Mal wieder freigelassen und konnte seiner Arbeit entspannt, nachgehen. Er sagt, es habe keine Probleme zwischen dem IS und der Türkei gegeben.

Verantwortlicher für die Beschaffung von Elektronik

Anfangs begann er mit einem Kapital von 1.000 Dollar einfache Militärausstattung zu erwerben und diese über seinen Bruder nach Syrien verkaufen. Er berichtet, dass er auf diese Weise sein Kapital schnell vervielfachen konnte. Vor dem Ramadan reist er nach Raqqa und trifft sich dort mit dem im Rahmen des Mosul-Deals aus türkischer Gefangenschaft freigelassenen hohen IS-Kader Abu Osama Gharib, dem Presseverantwortlichen des IS Hacı Furkan und Abu Muhammed Adnani. Dort erfährt Sakarya, dass ein „Kalifat“ ausgerufen werden solle und spricht über die notwendigen Mittel, um einen „Staat“ zu organisieren. Sakarya kam mit dem IS überein, der Organisation militärisches und elektronisches Material in der Türkei zu beschaffen: „Aber ich wollte eine Garantie von Abu Bakr al-Bagdadi. Ich wollte, dass sie mich, wenn mir in der Türkei etwas geschehen sollte, durch einen Austausch rausholen würden, so dass ich in der Türkei entspannt arbeiten konnte. Er hatte sein ‚ok‘ gegeben.” Sakarya geht Ende 2014 erneut nach Syrien und erhält vom IS offiziell die Aufgabe des Beschaffers von elektronischem und militärischem Material aus der Türkei. Er übt diese Tätigkeit bis Ende 2017 aus. Er erzählt, der IS habe sich damals bei ihm für die geleistete Arbeit bedankt.

Es war alles sehr entspannt

Nachdem Sakarya den Auftrag vom IS erhalten hatte, gründet er Ende 2014 unter seinem Namen eine Firma. Er berichtet, dass ein Teil der bestellten Gegenstände in einem Depot unter seinem Haus in Ankara-Keçiören gelagert wurden. Seinen Angaben zu Folge arbeitete er direkt mit Abu Muhammed al-Iraki und dem IS-Sprecher Abu Muhammed Adnani, beide Mitglieder des engeren Führungszirkels des IS zusammen. Sakarya beschafft Militärelektronik für den IS aus der Türkei, aber auch aus den USA, Deutschland, China und Hongkong. Er kauft alles, von Ferngläsern bis zu Drohnen im Wert von bis zu einer Million ein. Er berichtet, dass er in allen Ländern, aus denen er Material beschaffte, ebenfalls über IS-Kontakte, die mit ihm kooperierten, verfügt habe: „Einmal habe ich Drohnen gekauft. Ich wollte Bombenabwurfmechanismen an ihnen anbringen. Ich habe nachgeforscht und bin von Laden zu Laden gegangen.“ Das zeigt wie entspannt sich der Dschihadist in der Türkei bewegen und sich Militärmaterial beschaffen konnte.

Dutzende Male festgenommen

Sakarya reiste in den Jahren 2015–2016 immer wieder in Syrien ein und aus, um sich mit der IS-Führung zu treffen. Er hatte dabei keine größeren Schwierigkeiten. Zwar wurde Sakarya in dieser Zeit immer wieder in Kilis, Elbeyli, Riha (Urfa) und Ankara festgenommen, aber er bekam keine Probleme. Bei seiner ersten Festnahme wurde festgestellt, dass er wegen Ableistung seines Kriegsdiensts gesucht wurde, da er aber verletzt war, wurde er ausgemustert. Bei den zwei folgenden Festnahmen erklärte er, dass er bei al-Nusra im Dschihad gekämpft habe und in die Türkei gekommen sei, um dort behandelt zu werden. Daraufhin wurde er immer wieder freigelassen, obwohl er sich offen dazu bekannte, Mitglied bei einer Al-Qaida-Fraktion zu sein und bereits per internationalem Haftbefehl gesucht wurde.

Die Polizei wusste, dass er zum IS gehörte

Anfang 2015 wird Sakarya von Antiterroreinheiten in Riha festgenommen. Dort erfährt er, dass die türkischen Behörden genau wissen, dass er IS-Mitglied ist. Sakarya sagt dazu: „Ich war mit einem Freund und Gepäck unterwegs. In meinem Gepäck befanden sich taktische Westen. Ich wollte von Urfa nach Akçakale. Dort gab es jemanden, der das Material dann nach Syrien brachte. Die brachten mich aufs Revier und verhörten mich. Ich fragte sie ‚und was wird jetzt‘. Sie antworteten ‚gar nichts‘. Ich fragte sie: ‚Also wie kann ich es machern?‘ und sie antworteten: ‚Du zahlst deine Steuern, dann bist du frei.‘ Der Mann brachte eine Kamera. Er ließ mich die Westen zählen. Es waren so etwa 40 Stück. Das waren keine Spielzeuge, sie stammten alle aus russischer Produktion. Es gab auch Ferngläser. Der Freund, mit dem ich unterwegs war, wusste nicht, dass ich vom IS war. Sie sagten ihm ‚Halte dich fern von Yunus, er gehört zum IS´. Dann schickten sie mich zum Busbahnhof. Dort trennten wir uns. Er ging nach Ankara und reiste weiter zum Grenzübergang in Akçakale. Ich traf mich mit dem Mann, um die Sachen rüberzuschicken. Das war Anfang 2015.“

Ausrüstung über den Grenzübergang bei Akçakale

Sakarya berichtet, dass die Ausrüstung für den IS offiziell über die Grenze ging. Sakarya hatte nach seiner Festnahme in Riha, als offen von seiner IS-Mitgliedschaft gesprochen worden war, begonnen, das Militärmaterial auf offiziellem Weg über die Grenze in Akçakale zum IS zu schicken. Er sagt aus: „Ich habe mich mit dem Mann in Akçakale in Verbindung gesetzt und verständigt. Wir haben über den Weg gesprochen und was kommen könnte. Der Mann hieß Muhammed Ali. Ich hatte ihn gefragt, was noch kommen könnte. Er sagte, du kannst alles bringen, nur kein Korteks.‘ Korteks ist ein Material was zur Herstellung von Bomben und zu ihrer Zündung verwendet wird. Als der Mann das sagte, staunte ich. Ich begriff, dass hier alles über die Grenze transportiert wurde. Der Grenzübergang von Akçakale hatte das Potential einen weiteren Meilenstein für meine Arbeit darzustellen. Vorher habe ich immer alles durch Schmuggler über die Grenze bringen lassen. Ich habe die Sachen noch ein, zwei Mal mit eigenen Händen nach Akçakale gebracht. Als das Geschäft größer wurde, habe ich Lastwagen geschickt.“

IS-Depots am Grenzübergang

Das Unternehmen, das Sakarya im Herbst 2014 aufgebaut hatte, wuchs schnell. Die Firma kaufte weiterhin in Amerika, China, Russland, Hongkong und Österreich ein und es wurden Depots in Orten wie Hatay und Kilis für sie eingerichtet. All das in diesen Lagern deponiertes Material war Militärelektronik und ging an den IS. Manchmal schickte Sakarya das Material als Schmuggelware zum IS, das meiste ging jedoch offiziell über die Grenze. Sakarya berichtet, dass der Grenzübergang von Akçakale zwar nach der Befreiung von Girê Spî (Tal Abyad) geschlossen worden war, dass aber weiterhin Material über den Grenzübergang von Elbeyli geschickt wurde.

Nach Festnahme in Ankara freigelassen

Der IS-Dschihadist Yunus Emre Sakarya wurde mit Haftbefehl per Interpol gesucht. Er wird, als er sich 2015 einen Pass ausstellen lassen will, von Antiterroreinheiten festgenommen und nach zwei Stunden wieder freigelassen. Sakarya erzählt: „Die Polizei hat die Drohnen bei mir zu Hause gesehen. Ich habe gesagt, dass ich Handel treibe. Sie brachten mich auf die Polizeidirektion in Ankara. Ich hatte zuvor erfahren, dass sie, als ich meinen Ausweis beantragt hatte, erfahren haben, dass ich per Interpol gesucht werde. Also habe ich mir keinen Ausweis geholt und bin wieder gegangen. Sie haben mich aber erwischt. Auf der Polizeidirektion sprachen sie ebenfalls über Interpol. Danach ließen sie mich frei. Nach dem Telefongespräch sagte der Mann: ‚Entschuldige Yunus, das war ein Missverständnis. Du kannst gehen.‘ Ich habe ein Taxi genommen und bin nach Hause gefahren.“

Abkommen zwischen dem IS und dem türkischen Staat

Sakarya berichtet, dass er immer wieder festgenommen worden war und obwohl er per Red Notice bei Interpol ausgeschrieben war, wurde er jedes Mal wieder freigelassen. Das habe ihn ermutigt, erzählt er: „Als ich meine ersten Schritte gegangen bin, wurde ich festgenommen. Sie nahmen mich an einem Bus-Bahnhof, einmal im Grenzgebiet und einmal in einer Wohnung fest. Sie sagten dann immer ‚Entschuldigung‘. Das steigerte mein Selbstvertrauen. Wenn jemand beim ersten Mal gesagt hätte, so geht es nicht, das ist verboten‘, dann wäre ich nicht so mutig gewesen.“ Sakarya sagt, er habe nur so entspannt arbeiten können, da es ein Abkommen zwischen dem türkischen Staat und dem IS gegeben habe.“

Teil I: