Attentäter auf US-Botschafter in die Türkei geflohen

Yunus Emre Sakarya ist einer der Attentäter, die 2012 an dem Anschlag auf das US-Konsulat im libyschen Bengasi beteiligt waren. Er befindet sich seit zwei Jahren in Gefangenschaft bei den QSD.

Yunus Emre Sakarya ist einer der Dschihadisten, die 2012 an dem Anschlag auf das US-Konsulat im libyschen Bengasi beteiligt waren. Seit zwei Jahren befindet sich der Deutschtürke in Gefangenschaft bei den Demokratischen Kräften Syriens (QSD). Gegenüber ANF berichtete er nun umfassend über seinen salafistischen Werdegang und wie er mit Unterstützung der Miliz Ansar al-Sharia mit offiziellen Papieren in die Türkei einreisen konnte. Sakarya war in Deutschland, Ägypten, Libyen, Syrien und der Türkei für al-Qaida und den sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) aktiv und wird per Interpol gesucht.

Yunus Emre Sakarya baute 2008 engere Beziehungen zu Dschihadisten auf und gehörte der deutschen Al-Qaida-Gruppe Millatu Ibrahim an. In Deutschland bewegte er sich in Kreisen um den IS und al-Qaida. 2012 reiste er über die Türkei nach Ägypten und anschließend weiter nach Libyen. Dort nahm er am 11. September 2012 an dem Angriff auf die US-amerikanische Botschaft in Bengasi teil, bei dem der amerikanische Botschafter und drei seiner Mitarbeiter getötet wurden. Sakarya reiste mit einem Pass, der von der mit der Türkei eng verbundenen Miliz Ansar al-Sharia beschafft worden war, über die Türkei nach Syrien und wurde unter anderem IS-Polizeikommandant in Cerablus (Dscharablus). Er berichtet, im Jahr 2014 von Cerablus aus den in Europa gesuchten hochrangigen IS-Dschihadisten Muhammed Mahmud (Abu Usama Garip) per Videoanruf in einem türkischen Gefängnis kontaktiert zu haben. Der IS-Kommandant wurde anschließend von der Türkei gegen das Botschaftspersonal in Mosul mit dem IS ausgetauscht.

Bereits in Deutschland terroristisch aktiv

Yunus Emre Sakarya wurde 1991 in Köln geboren und besitzt die doppelte Staatsbürgerschaft. Die Schule besuchte er bis zur zehnten Klasse. In Deutschland saß er bereits im Gefängnis: Wegen der Vorbereitung einer Terroraktion wurde der Dschihadist 2008 festgenommen und zu drei Jahren Haft verurteilt. 2010 wurde er vorzeitig entlassen. Dazu berichtet er: „Ich fuhr am 4. Oktober 2008 mit meiner Familie nach Florida in den Urlaub. Damals interessierte ich mich sehr für die Idee des Dschihad und die Angriffe vom 11. September 2001. Als ich zurückkam, nahm ich Verbindung zu einem Al-Qaida-Mitglied auf. Er verbreitete über das Internet die Videobotschaften von al-Qaida. Ich plante mit seinen Anordnungen und Empfehlungen eine Aktion gegen amerikanische Soldaten. Ich versuchte Waffen zu kaufen, aber das klappte nicht. Wir wollten auch deutsche Polizisten umbringen und mit ihren Waffen eine amerikanische Basis stürmen, aber wir wurden vorher erwischt. Die anderen wurden freigelassen. Ich hatte damals keine Beziehung zu irgendeiner Organisation und kam nach zwei Jahren frei.“

Rechte Hand von Abu Usama Gharib

Nach seiner Freilassung nahm Yunus Emre Sakarya Kontakt mit der Gruppe um Pierre Vogel auf und lernte den populären Al-Qaida- und späteren IS-Dschihadisten Abu Usama Gharib kennen. Er erzählt: „Abu Usama Gharib wurde mir als Referenz angegeben, als ich zuvor die Aktion zu machen versuchte. Bei ihm war dieser amerikanische schwarze Rapper Abu Talha (gemeint ist Dennis Cuspert, „Deso Dogg“ aus Berlin, Anm. d. Red.). Abu Talha und Abu Usama begannen zusammen Videos zu machen. Meine Karriere in der Logistik begann an diesem Punkt. Ich habe ihnen alles besorgt und erklärt, wie sie mit den Geräten umzugehen hatten. Ich habe Kameras und Aufnahmegeräte beschafft. Wenn Fahnen gedruckt werden mussten, habe ich das Geld dafür besorgt. Ich war mit Abu Usama als sein Chauffeur unterwegs und lernte damals sehr viele Dschihadisten kennen. Unter anderem machte ich Bekanntschaft mit dem für die Explosion in Bali/Indonesien im Jahr 2002 Verantwortlichen Reda Seyam.

Die Videos wurden in Deutschland gemacht

Sakarya und Abu Usama gehören zu den Gründungsmitgliedern der mittlerweile verbotenen Al-Qaida-Organisation Millatu Ibrahim, die im Herbst 2011 gegründet wurde und ihren Sitz in einer Hinterhofmoschee in Solingen hatte. Der Dschihadist erinnert sich: „Bis er Deutschland verließ, reiste ich mit Abu Usama von Stadt zu Stadt, wo er mich den Leuten vorstellte. Abu Usama gründete fast in jeder Stadt Ableger von Millatu Ibrahim. Die Organisation wurde nach außen hin als Einladung zum Dschihad präsentiert, aber eigentlich wurde sie zur Herstellung falscher Papiere gegründet. Finanziert wurden sie aus dem Verkauf von gestohlenen Dingen. Einer, der mit uns in Verbindung stand, bekam Videos von al-Qaida aus Afrika, Somalia und Afghanistan. Er schnitt diese Videos in einer zu einem Studio ausgebauten Wohnung zusammen. Dann wurden sie wieder zurückgeschickt und al-Qaida präsentierte sie als Vor-Ort-Produktionen. All diese extrem professionell wirkenden Al-Qaida-Videos wurden in Deutschland aufbereitet.“

Über die Türkei nach Ägypten

Nachdem 2012 zwei Mitglieder von Millatu Ibrahim bei der Vorbereitung von Bomben festgenommen wurden, habe die Organisation beschlossen, nach Ägypten auszureisen, berichtet Sakarya. „Der deutsche Geheimdienst beobachtete mich und Abu Usama Gharib 24 Stunden täglich. Manchmal riefen sie Abu Usama an und fragten ihn, was er in dieser oder jener Stadt machte. Damals kam es zu bei Demonstrationen von Millatu Ibrahim zu Zusammenstößen mit Rechtsextremisten. In Bonn wurde ein Polizist mit einem Messer verletzt. In dieser Zeit rückte Millatu Ibrahim durch die Festnahme der beiden Personen, welche die Bomben anfertigten, in den Vordergrund. Die Medien bliesen die Sache unglaublich auf. Irgendwann reiste Abu Usama nach Ägypten aus. Er sagte mir, dass ich auch kommen sollte. Also fuhren mein Bruder und ich mit dem Auto nach Istanbul. Nach einem zweiwöchigen Aufenthalt im Bomonti-Hilton, während dem wir auch unsere Einkäufe erledigt hatten, flogen wir nach Kairo.

Bombenbauer aus Deutschland erhalten Unterstützung von Hells Angels

Die beiden Bombenbauer, die 2012 in Deutschland festgenommen und wegen fehlenden Beweisen wieder auf freien Fuß gesetzt worden waren, gingen auch nach Ägypten. Sie wurden zwar von den Behörden in Deutschland beschattet, aber Hells Angels half ihnen bei der Ausreise. Nach der U-Haft hatten sie ihre Spuren und die Bomben beseitigt. Die Hells Angels brachten sie mit dem Auto nach Belgien und gaben ihnen falsche deutsche Pässe sowie 5.000 Euro. Sie flogen ab Brüssel. Einer von ihnen ging in den Irak, der andere kam zu uns nach Ägypten.“

Militärische Ausbildung in Libyen

Die Mitglieder von Millatu Ibrahim in Ägypten beschlossen nach einer Weile, nach Libyen zu gehen. Sakarya und sein Bruder Ismail Sakarya waren ebenfalls Teil dieser Gruppe. Mit der Hilfe von beim IS und al-Qaida bekannten Personen wie Reda Seyam konnten sie die Grenze nach Libyen passieren. Vor dem Grenzübertritt erhielten sie aber noch eine militärische Ausbildung. Sakarya und sein Bruder gingen mit Millatu Ibrahim in die libysche Stadt Tobruk und anschließend nach Derna. Damals war Derna das Zentrum der Dschihadisten, erzählt Sakarya: „Dort gab es keine Polizei oder Militär der Regierung. Die Dschihadisten wurden militärisch ausgebildet und sammelten sich. In Derna griffen sie Städte wie Bengasi an. Wir wohnten im ehemaligen Gerichtsgebäude Gaddafis. Es hatte einen Riesengarten und Salons. Auf dem Grundstück erhielten wir eine ideologische und militärische Weiterbildung. Dabei lernten wir alle Arten von Waffen kennen. Abu Usama bildete uns ideologisch aus.“

Angriff auf das US-Konsulat

Am Abend des 11. September 2012 nahm Yunus Emre Sakarya in Bengasi am Al-Qaida-Angriff auf die US-Botschaft in Bengasi teil, der bis in die Morgenstunden des 12. September 2012 dauerte. Sakarya erzählt vom Ablauf des Angriffs: „Das Gebäude, in dem wir in Derna lebten, wurde von Ansar al-Sharia kontrolliert. Das war damals der Arm von Al-Qaida in Libyen. Sie kamen damals in das Gerichtsgebäude, in dem wir lebten. Sie suchten von den damals Unverletzten zehn bis 15 Personen aus und nahmen sie mit. Sie sagten uns nicht, worum es geht. Wir stiegen in Fahrzeuge ein und kamen nach Bengasi. Sie haben uns in drei bis vier Personen starke Teams aufgeteilt. Neben uns gab es Personen aus der Lokalbevölkerung die sie als ‚Ansar‘ (eigentlich Personen aus Medina, die dem exilierten Propheten und seinen Anhängern halfen, nachdem diese Mekka verlassen mussten, Anm. d. Red.) bezeichneten. Neben mir war von Millatu Ibrahim auch ein Deutschmarokkaner namens Abu Amina dabei. Er war ein enger Freund von mir aus Deutschland. Er hatte mir damals die Befehle aus dem Arabischen ins Deutsche übersetzt. Unsere Aufgabe war, nur die Wege zu blockieren. Es gab einen Ort, von dem aus Ansar al-Sharia seinen Angriff auf das US-Konsulat starten wollte. Ansar al-Sharia wollte das Konsulat von vorne angreifen. Wir hatten Stellungen aufgebaut und den Befehl erhalten, auf jedes Auto, das zur Verstärkung kommen sollte, das Feuer zu eröffnen. Unsere Aufgabe war es, die Leute im vorderen Bereich zu schützen. Danach gab es die ganze Nacht über ein heftiges Gefecht. Autos kamen und brachten uns wieder nach Derna. Aus den Nachrichten haben wir später erfahren, dass die Amerikaner getötet wurden.“

Al-Qaida-Libyen hatte den Angriff organisiert

Auf unsere Frage, ob denn al-Qaida hinter dem Angriff gestanden habe, antwortet er: „Ja, Ansar al-Sharia ist der libysche Arm von al-Qaida. Natürlich waren nicht nur sie dabei, es war eine große Aktion und Libyen war so ein chaotischer Ort, dass auch andere kommen und sich anschließen konnten. Alle können das. Ansar al-Sharia kann einer anderen Organisation nicht entgegnen ‚Ihr nicht, nur wir.‘“ Sakarya erwähnt, dass die Situation für die Dschihadisten in Derna nach dem Angriff schwieriger wurde. Zum einen, weil Aufklärungsflugzeuge über der Region kreisten. Zum anderen wegen der heftigen Reaktion aus der Bevölkerung. Die Dschihadisten versuchten nach Mali zu gelangen und dort Gebiete zu erobern. Aber als die Franzosen ihnen den Weg versperrten, entschlossen sie sich, nach Syrien zu gehen.

Pass von der türkeigestützten libyschen Regierung

Sakarya macht auch wichtige Aussagen über die 2012 aus den Wahlen als Siegerin hervorgegangenen Regierung der nationalen Einheit, die von der Türkei massiv unterstützt wird. Ansar al-Sharia habe gute Beziehungen zur Regierung gehabt, berichtet Sakarya. Deshalb war sie in der Lage, einen Pass für seine Reise nach Syrien zu beschaffen: „Ansar al-Sharia beschaffte uns richtige libysche Pässe. Diese wurden durch Verbindungen zur Regierung beschafft. Die Regierung stand uns nicht nah, aber sie bekämpfte uns auch nicht. Auch unsere Angriffe behinderte sie nicht. Das war so ganz anders. Sie waren damit zufrieden, ihre eigenen Soldaten zu unterdrücken. In Bengasi gab es jede Nacht Aktionen.“

In der Türkei wurden wir vollkommen in Ruhe gelassen

Der Kölner erklärt, im Januar 2013 gemeinsam mit seinem Bruder, einer in Deutschland wegen eines Bombenanschlags gesuchten Person und dessen Ehefrau - ausgestattet mit offiziellen libyschen Pässen -, von Trablus nach Istanbul geflogen zu sein. „Wir hatten Bärte. Es gab keine Verkleidung. Al-Qaida hatte uns ohne jegliche Durchsuchung ins Flugzeug gebracht. Der Verantwortliche von Ansar al-Sheria war auch dabei. In der Tasche trug er eine Handgranate, im Gürtel eine Pistole. Wir konnten einfach einsteigen. Er sagte: ‚Setzt Euch dorthin.‘ Wir hatten lange Gewänder an und trugen Bärte. Der Name des Bombenbauers war Samir. Seine Frau war voll verschleiert. Wir wurden als die vier Ersten in einem Versuch dorthin geschickt. Nach uns sollten noch andere kommen. Wenn es Probleme gäbe, würden Maßnahmen ergriffen werden. Wir kamen vollkommen entspannt durch. Samir und seine Frau trennten sich von uns am Flughafen. Sie gingen nach Antep oder Urfa. Ich blieb mit meinem Bruder zwei Wochen im Bomonti Hilton. Wir haben unsere Einkäufe erledigt. Ohne jegliche Probleme.“

Al-Nusra und der Dschihad passten zu mir: Du kannst jeden den du willst, umbringen

Nach zwei Wochen reisten sie von Istanbul nach Hatay und trafen sich dort mit dem Al-Qaida-Verantwortlichen Abu Usama Gharib. Auf seine Empfehlung hin schloss sich Sakarya der Al-Nusra-Front an. Dazu erklärt er: „Eine Waffe zu tragen und den Krieg zu erleben, gefiel mir. Von klein auf liebte ich diese Filme. Schon seit ich klein war, war ich immer begeistert, wenn ich diese amerikanischen Kriegsfilme sah. Ich wollte es so sehr. Der Dschihad passte zu mir. Du kannst jeden umbringen, den du möchtest.“

Sakarya in Cerablus Polizeibefehlshaber des IS

Nach seinem Treffen mit dem international gesuchten Abu Usama Gharib reisen die beiden Dschihadisten über Reyhanlı nach Idlib zu al-Nusra. Dort erhielten die Brüder eine militärische Ausbildung und wurden anschließend nach Aleppo geschickt. Nachdem sie in Aleppo gekämpft hatten, gingen sie nach Cerablus. Nach der Spaltung zwischen dem IS und al-Nusra im September 2013 schlossen sie sich in Cerablus dem IS an. Yunus Emre Sakarya wird zum Polizeikommandanten in Cerablus. Er und sein Bruder heiraten im IS. Er sagt, die Frau seines Bruders sei Tschetschenin gewesen. Später sei aber die Familie der Frau gekommen und habe seinem Bruder die Frau weggenommen. Daher hatte er Schwierigkeiten mit den Anhängern des hochrangigen IS-Kommandanten Abu Omar al-Schischani, der selbst auch Tschetschene war. Er nahm daraufhin Verbindung zu einigen führenden IS-Mitgliedern auf.

Abu Usama wurde im Austausch von Mosul freigelassen

Sakarya erinnert sich: „Wir haben uns mit Abu Usama in Verbindung gesetzt, um das Problem zu lösen. Abu Usama Gharib war damals in Hatay festgenommen worden. Er wurde 2013 in der Türkei inhaftiert. Er war in einem türkischen Gefängnis und hatte Internet. Wir haben uns mit ihm über das Internet unterhalten. Abu Usama schickte uns deswegen zu Reda Seyam. Der war auch zum IS gewechselt. Er hatte eine wichtige Position inne. Er half uns, weil hier ein Unrecht getan worden war. Abu Usama wurde zu dieser Zeit in Deutschland und Österreich gesucht. Er wurde 2014 im Austausch für die Konsulatsmitarbeiter aus Mosul vom türkischen Staat freigelassen. Wie er freigelassen wurde, habe ich von Abu Usama detailliert erfahren.“

Fortsetzung folgt