Wo ist Serbest Derin? Von dem politischen Geflüchteten aus der Türkei fehlt seit Tagen jede Spur. Familienangehörige und seine Anwälte vermuten, dass er von Rumänien in die Türkei ausgeliefert wurde, obwohl ihm dort eine langjährige Haftstrafe droht. Der Kurde wurde Ende Mai aus Österreich gemäß Dublin-Verordnung nach Rumänien abgeschoben – dorthin, wo er zum ersten Mal einen Asylantrag gestellt hat. Seit Tagen sei jeglicher Kontakt zu ihm abgebrochen, sagt sein Istanbuler Rechtsanwalt Hüseyin Boğatekin, der auch Ko-Vorsitzender des Juristenverbands ÖHD („Özgürlük için Hukukçular Derneği“) ist. Ein Kollege in der rumänischen Hauptstadt Bukarest versuche ebenfalls vergeblich, Serbest Derin zu finden.
Zwei Urteile über 17,5 Jahre Haft
Serbest Derin hat in seiner Geburtsstadt Mêrdîn (tr. Mardin) als Lehrer gearbeitet. Im Jahr 2012 wurden gleich zwei politisch motivierte Verfahren gegen ihn eröffnet. Ein Urteil über anderthalb Jahre Gefängnis wegen angeblicher Terrorpropaganda wurde bereits bestätigt, das Berufungsverfahren gegen eine Gerichtsentscheidung über eine 16-jährige Haftstrafe ist beim türkischen Kassationshof weiter anhängig. Die Anklageschrift mit fingierten Beweisen in dem Verfahren wegen angeblicher „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“ und „Aktivitäten für eine terroristische Vereinigung“ stammte aus der Feder des früheren leitenden Staatsanwalts von Erzurum (ku. Erzîrom), Ekrem Beyaztaş. Der sitzt selbst im Gefängnis, weil er Mitglied der in der Türkei unter der Bezeichnung „FETÖ“ als terroristische Vereinigung eingestuften Bewegung des islamistischen Predigers Fethullah Gülen sein soll. Um sich vor jahrelanger Haft zu schützen, verließ Serbest Derin die Türkei.
2020 konnte Abschiebung verhindert werden
Rumänien ist eines der EU-Länder, das regelmäßig und ohne ausreichende Prüfung Menschen in Länder abschiebt, in denen sie gefährdet sind. Obwohl das so ist, schiebt Österreich nach Rumänien zurück, kritisiert die migrantische Selbstorganisation Patika in Graz. Vergangenes Jahr sollte Serbest Derin schon einmal gemeinsam mit Dutzenden anderen nach vorheriger Folter aus Rumänien in die Türkei abgeschoben werden – ohne jedwelche ernsthafte Prüfung seines Falles. Weil der kurdische Journalist Nuri Akman an seiner Seite war, wurde der Fall öffentlich und Akman, Derin und zwei andere Kurden wurden in letzter Sekunde und mit bereits mit ausgestellten Tickets am Flughafen doch noch nicht abgeschoben.
Patika: Aus einem Asyllager in Villach nach Rumänien gebracht
„Serbest schlug sich nach Österreich durch – aber Österreich war von Anfang an darauf erpicht ihn nach Rumänien zurückzuschieben, obwohl ihm dort Folter und Abschiebung ohne Prüfung seines Asylansuchens drohten”, heißt es in einer Erklärung von Patika. Gemäß den der Gruppe vorliegenden Informationen wurde Derin in der letzten Maiwoche aus einem Asyllager in Villach nach Rumänien gebracht. Dabei endete die Einspruchsfrist erst am 31. Mai und sein österreichischer Anwalt hat Einspruch eingelegt. „Die österreichische Bundesregierung kritisiert regelmäßig die türkische Innen- und Außenpolitik und das Rechtsverständnis der Türkei. Trotz dieser Kritik werden politisch Verfolgte in die Türkei abgeschoben. Wir protestieren gegen diese Doppelmoral!” Patika fordert die zuständigen Behörden und politisch Verantwortlichen Österreichs mit allem Nachdruck auf, unverzüglich der rumänischen Botschaft mitzuteilen, dass sich Österreich für zuständig erklärt. Serbest Derin müsse auf schnellstem Weg Asyl gewährt werden, um einer Abschiebung in die Türkei zuvorkommen.
Türkische Militärpolizei: „Wir haben ihn aufgespürt“
Doch laut Informationen der in Mêrdîn lebenden Familie von Serbest Derin ist es vermutlich bereits zu spät. Am Dienstag (1. Juni) seien die Eltern nach Angaben des Bruders Ali Derin von der türkischen Militärpolizei im zentralen Bezirk Ertoqî (Artuklu) kontaktiert worden: „Auf der Wache haben sie uns mitgeteilt, Serbest aufgespürt zu haben. Zu dem Zeitpunkt sei er noch in Rumänien gewesen. Wo er sich jetzt befindet und ob er in die Türkei gebracht wurde, darüber geben uns die Behörden keine Auskunft.“ Ali Derin appelliert an zivilrechtliche Organisationen, sich für seinen Bruder einzusetzen und sein Schicksal aufzuklären.