Wieder Festnahmen bei Mahnwache von Samstagsmüttern

Es gleicht inzwischen einem Ritual, wie die Istanbuler Polizei seit Wochen die Mahnwache der Samstagsmütter verhindert: Trotz eines gegensätzlichen Urteils des türkischen Verfassungsgerichts wurde das Sit-in erneut unterbunden, es gab über 20 Festnahmen.

Es gleicht inzwischen einem Ritual, wie die Istanbuler Polizei seit Wochen die Mahnwache der Samstagsmütter verhindert, um die Forderung nach Aufklärung des Schicksals ihrer in staatlichem Gewahrsam verschwundenen Angehörigen und die Bestrafung der Täter zu unterdrücken. Trotz eines gegensätzlichen Urteils des türkischen Verfassungsgerichts wurde der Initiative erneut der Zugang zu ihrem angestammten Kundgebungsort vor dem Galatasaray-Gymnasium auf der Istiklal Caddesi verwehrt. Vor dem durch Barrieren und Gitter abgesperrten Platz wurden Mitglieder und Unterstützende der Samstagsmütter zunächst in einen Kessel genommen, anschließend führte die Polizei Festnahmen durch. Mindestens 23 Personen wurden in Gewahrsam genommen und abgeführt.

Auch TTB-Präsidentin unter den Festgenommenen

Bei den Festgenommenen handelt es sich um die Vermissten-Angehörigen Hanife Yıldız, Mikail Kırbayır, İrfan Bilgin, Maside Ocak, Hasan Karakoç, Faruk Eren, Filiz Karakuş, Meryem Göktepe und Sebla Arcan, die Präsidentin der türkischen Ärztekammer (TTB), Şebnem Korur Fincancı, die Vorsitzende des Istanbuler Zweigs des Menschenrechtsvereins IHD, Gülseren Yoleri, die Vertreterin der Menschenrechtsstiftung der Türkei (TIHV), Ümit Efe, IHD-Vorstandsmitglied Leman Yurtsever, die Mitarbeiterin des Istanbuler Erinnerungszentrums (Hafıza Merkezi), Gamze Hızlı, Mümtaz Murat Kök und Meriç Eyüboğlu von der Media and Law Studies Association (MLSA) sowie die Initiativen-Mitglieder Erhan Pekçe, Sinan Gökçen, Ali Tosun, Yaşar Demircan, Nimet Tanrıkulu, Hilmiye Öz und Döne Gevher. Journalist:innen wurden bei der Dokumentation des Polizeieinsatzes behindert.


Synonym für das Schicksal der Opfer des „Verschwindenlassens”

1995 gingen Frauen in Istanbul zum ersten Mal auf die Straße, um analog zu den argentinischen „Madres de la Plaza de Mayo” auf festgenommene und dann verschwundene Verwandte in den 1980er und 1990er Jahren aufmerksam zu machen. Zwischen 1999 und 2009 mussten die Samstagsmütter ihre wöchentlichen Mahnwachen aussetzen, da die Polizei die Versammlungen regelmäßig auflöste. Seit einem vom Innenministerium angeordneten Großangriff auf die Samstagsmütter im Sommer vor fünf Jahren ist der Galatasaray-Platz für die Initiative eine Sperrzone. Dies aber steht im Widerspruch zum Recht auf Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit, urteilte der türkische Verfassungsgerichtshof am 22. Februar 2023 und verwarf den Einwand des Ministeriums, das den „Schutz der öffentlichen Ordnung“ durch die Samstagsmütter bedroht sieht. „Jedermann hat das Recht, ohne vorherige Erlaubnis an unbewaffneten und friedlichen Versammlungen und Demonstrationen teilzunehmen“, heißt es in Artikel 34 der türkischen Verfassung, gegen den die Sicherheitsbehörden mit ihrer Verbotsverfügung für die gewaltsam aufgelöste Aktion der Samstagsmütter im August 2018 und alle folgenden verstoßen haben. Die Blockade des Platzes sei damit hinfällig. Seit dem 8. April 2023 nutzt die Initiative nicht mehr ihren alternativen Kundgebungsplatz vor dem IHD-Büro, sondern geht wieder auf die Istiklal Caddesi, um zu protestieren – heute zum 945. Mal. Das türkische Innenministerium und die Istanbuler Polizei ignorieren das Urteil und gehen die inzwischen sechste Woche in Folge gewaltsam gegen die Samstagsmütter vor.