Şebnem Korur Fincancı: Der Kampf geht weiter

Şebnem Korur Fincancı ist bei ihrer Entlassung aus dem Gefängnis mit Applaus begrüßt worden. Die wegen ihrer Forderung nach einer Untersuchung der türkischen Chemiewaffeneinsätze verurteilte Medizinerin kündigte die Fortsetzung ihres Kampfes an.

Şebnem Korur Fincancı ist aus dem Frauengefängnis Bakirköy in Istanbul entlassen und von einer großen Menschenmenge mit begeistertem Applaus begrüßt worden. Die seit vergangenem Oktober inhaftierte Präsidentin der türkischen Ärztekammer (TTB) wurde heute wegen ihrer Forderung nach einer Untersuchung der türkischen Chemiewaffeneinsätze in Kurdistan zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und achteinhalb Monaten verurteilt, gleichzeitig wurde der Haftbefehl aufgehoben.

Nach ihrer Entlassung erklärte Fincancı angesichts des großen Medieninteresses vor dem Gefängnis, dass Journalist:innen ebenso wie Menschenrechtsverteidiger:innen und Mediziner:innen die Verantwortung haben, das wiederzugeben, was sie gesehen haben und die Wahrheit ist. „Wenn diese Tage vorbei sind, werden wir sehen, wer diese Verantwortung erfüllt hat und wer nicht“, so die international bekannte Forensikerin.

Der Menschheit und der Gesundheit verpflichtet“

Ihre Verurteilung wegen „Terrorpropaganda“ bezeichnete Fincancı als sinnlos und unverständlich: „Es ist ist keiner Weise nachvollziehbar, dass die Sendepolitik eines Kanals als Straftat gewertet und dann mir zugeschoben wird. Ich kann nur für meine eigenen Vergehen verantwortlich sein. Mein Verbrechen ist mein Verantwortungsgefühl gegenüber der Menschheit.“

Die Verurteilung basiert auf einem Interview im kurdischen Sender Medya Haber im Oktober 2022. In dem Interview hatte die weltweit bekannte Rechtsmedizinerin und Anti-Folter-Expertin erklärt, sie habe sich Aufnahmen von Opfern eines mutmaßlichen Chemiewaffenangriffs angesehen. Ihre Symptome deuteten offenbar darauf hin, dass die Personen – es handelte sich um zwei Guerillakämpfer:innen – einer toxisch wirkenden, gasförmigen Substanz ausgesetzt wurden. Die Vorwürfe, dass es sich dabei um Giftgas gehandelt haben könnte, müssten daher entsprechend internationalen Standards geprüft werden. Fincancı kritisierte in der Sendung auch, dass einer Delegation der ärztlichen Friedensorganisation IPPNW der Zugang in die von türkischen Chemiewaffeneinsätzen betroffenen Regionen verweigert wurde. Die türkische Generalstaatsanwaltschaft warf ihr deshalb „Propaganda für eine terroristische Organisation“ vor und forderte bis zu siebeneinhalb Jahre Freiheitsstrafe.

Fincancı erklärte weiter, dass für sie als Medizinerin die Gesundheit von Menschen im Vordergrund stehe: „Wir werden weiterhin gegen Kriege sein und alles uns Mögliche unternehmen, um Waffen in jeglicher Form aufzuhalten, zu verbieten und abzuschaffen. Es geht auch nicht nur um Menschen. Wir alle haben die Verantwortung, die Welt, auf der wir leben, und das Universum vor schädlichen Einflüssen dieser Art zu schützen.“

Menschenunwürdige Haftbedingungen

Fincancı ging auch auf die Haftbedingungen in Bakirköy ein und sagte, dass vor allem Frauen aus dem Ausland unter sehr schlechten Umständen leben: „Sie haben weder einen Rechtsbeistand noch Geld und sind in den für die Privatwirtschaft instrumentalisierten Gefängnissen gezwungen, zu einem sehr geringen Entgelt für ihren Lebensunterhalt zu arbeiten.“ Zudem sei die Gesundheitsversorgung unzureichend und die Gefangenen seien voneinander isoliert.

Dieser Kampf wird nicht enden“

Ihr Kampf werde weitergehen, kündigte Fincancı an und dankte allen, die dabei an ihrer Seite stehen. Ihr besonderer Dank galt ihrem Verteidigungsteam, das in einem Land, in dem es kein Rechtssystem mehr gebe, auf juristischem Kampf und Gerechtigkeit bestehe. „Ich danke auch allen, die uns im Parlament Gehör verschafft haben, und meinen Mitstreiter:innen. Gut, dass es euch gibt. Wir werden den Kampf fortsetzen. Dieser Kampf wird nicht enden“, so Şebnem Korur Fincancı.