Staatsanwalt fordert bis zu siebeneinhalb Jahre Haft für Fincancı

Der Präsidentin der türkischen Ärztekammer (TTB), Şebnem Korur Fincancı, drohen wegen Aussagen rund um den Einsatz von Chemiewaffen durch das türkische Militär in Südkurdistan bis zu siebeneinhalb Jahre Haft.

Der Präsidentin der türkischen Ärztekammer (TTB), Şebnem Korur Fincancı, drohen wegen Aussagen rund um den Einsatz von Chemiewaffen gegen die kurdische Guerilla bis zu siebeneinhalb Jahre Haft. Die Generalstaatsanwaltschaft Ankara wirft der 63-Jährigen „Propaganda für eine terroristische Organisation“ vor, wie Staatsmedien berichteten. An welches Gericht die Anklage ging ist unklar, sehr wahrscheinlich aber an ein Schwurgericht. Dort entscheidet die zuständige Kammer über die Eröffnung des Hauptverfahrens und einen Prozesstermin.

Şebnem Korur Fincancı befindet sich seit rund einem Monat in Haft. Grundlage für die Anklage sind Äußerungen, die sie in einem Fernsehinterview mit dem kurdischen Sender Medya Haber gemacht hat. Darin war die international renommierte Rechtsmedizinerin zu Chemiewaffenangriffen gegen die PKK-Guerilla in der Kurdistan-Region Irak (KRI) durch türkische Truppen befragt worden. Sie forderte, die Vorwürfe entsprechend internationalen Standards unabhängig untersuchen zu lassen. Staatspräsident Erdoğan warf ihr daraufhin Verunglimpfung der Streitkräfte und Beleidigung ihres Landes vor.

Von ANF veröffentlichte Videos zeigen, wie türkische Soldaten bei Besatzungsoperationen im südlichen Kurdistan chemische Kampfstoffe gegen Guerillastellungen einsetzen. Auch liegen Aufnahmen von verletzten Kämpfer:innen vor, die zuvor den eingesetzten Chemikalien ausgesetzt waren. Neben Fincancı hatten auch die Demokratische Partei der Völker (HDP) und die kurdische Zivilgesellschaft unabhängige Untersuchungen dazu gefordert. Die türkische Regierung bestreitet die Vorwürfe.

IPPNW bestätigt Vorwürfe

Die ärztliche Friedensorganisation IPPNW hatte im September - nachdem sich die Meldungen über türkische Chemiewaffenangriffe im südlichen Kurdistan überschlugen - eine Delegationsreise in die KRI unternommen, um den Vorwürfen nachzugehen, Bildmaterial zu sichten und Proben zu entnehmen und bewerten. Zwar war der Delegation der Zugang in die von türkischen Chemiewaffeneinsätzen betroffenen Regionen von der KRI-Regierung verweigert worden. Der im Oktober zur Reise veröffentlichte Bericht der IPPNW sieht die Vorwürfe der kurdischen Seite dennoch bestätigt und erachtet eine unverzügliche unabhängige internationale Untersuchung als notwendig.

Verurteilung nach Anti-Terror-Gesetz Nr. 3713 Artikel 7/2

Die Verurteilung von Fincancı soll nach Art. 7 Abs. 2 des türkischen Anti-Terror-Gesetzes (Gesetz Nr. 3713) erfolgen. Im Gesetzestext heißt es dazu: „Wer Propaganda für eine terroristische Organisation macht, wird mit Freiheitsstrafe zwischen einem und fünf Jahren bestraft.“ Die Strafe erhöht sich um die Hälfte, wenn das „Verbrechen“ durch die Presse oder durch Rundfunk begangen wurde.