„Todeskeller von Cizîr“: Verfassungsgericht legt Urteilsbegründung vor
Der türkische Verfassungsgerichtshof hat die Abweisung der Klage wegen der Massaker in den „Todeskellern von Cizîr“ aufgrund „mangelnder Belege“ rechtskräftig werden lassen.
Der türkische Verfassungsgerichtshof hat die Abweisung der Klage wegen der Massaker in den „Todeskellern von Cizîr“ aufgrund „mangelnder Belege“ rechtskräftig werden lassen.
Die „Todeskeller von Cizîr“ sind in die Geschichte der Kriegsverbrechen und Gräueltaten faschistischer Regime eingegangen. Das türkische Militär war im Winter 2015/2016 in kurdische Städte eingerückt, um die Umsetzung der erklärten Autonomie zu verhindern. In Cizîr flohen viele Menschen in die Kellergeschosse von Wohngebäuden, um dort Schutz vor den Kriegsverbrechen zu suchen. Am 7. Februar 2016 leiteten Sicherheitskräfte Benzin in die Keller von zwei Wohngebäuden und steckten diese in Brand. Dabei wurden mindestens 177 Menschen bei lebendigem Leib verbrannt oder erschossen. Auch in einem dritten Gebäude kamen Menschen im Verlauf der Militärbelagerung zu Tode. Insgesamt starben in Cizîr mindestens 288 Menschen. Nach Meinung des türkischen Verfassungsgerichtshofs sollen diese Massaker weiterhin ungesühnt bleiben.
Am 21. April wurde eine Klage über die Rechtsverletzungen der Armee und Polizei in Cizîr abgewiesen. Nun hat der Verfassungsgerichtshof eine Urteilsbegründung vorgelegt. Demnach wurde die Klage abgewiesen, weil der Mangel an Beweisen nicht fristgemäß behoben worden sei. Mit der Veröffentlichung im Amtsblatt ist der Beschluss rechtskräftig. Die Beschwerdeführer hatten bei ihrer Verfassungsbeschwerde mit der Rechtswidrigkeit der Ausgangssperren argumentiert, in deren Verlauf Cizîr belagert wurde. Darüber hinaus beruhte die Beschwerde auf der Verletzung des Rechts auf Leben, Freiheit und Sicherheit, dem unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt durch Sicherheitskräfte, der Verweigerung zu lebensnotwendigen sowie lebensfördernden Gesundheitsleistungen, der langen Einbehaltung der Leichen der Getöteten und damit einhergehenden psychischen Auswirkungen auf Angehörige, dem vollständigen Fehlen wirksamer strafrechtlicher Untersuchungen hinsichtlich der Vorfälle und der Straflosigkeit für Sicherheitskräfte.
Verfahren zu anderen Todeskellern laufen noch
Das Verfahren zu den Massakern im ersten und zweiten Keller ist noch nicht abgeschlossen. Nach Angaben der Anwält:innen, die den Prozess begleiten, gibt es hier keine fehlenden Beweismittel oder Unzulänglichkeiten in den Anträgen. Auch zahlreiche Individualbeschwerden sind weiterhin anhängig.
EGMR hatte Klage abgewiesen
Im Februar 2019 hatte bereits der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine Klage gegen die Türkei wegen der Massaker von Cizîr abgewiesen. Begründet wurde die Entscheidung mit der sogenannten Nichtzuständigkeit. Die Straßburger Richter befassten sich inhaltlich nicht mit der Klage und entschieden, dass zunächst der nationale Rechtsweg ausgeschöpft werden müsse. Mit dem Eintreten der Rechtskraft der Entscheidung aus Ankara ist damit zu rechnen, dass die Hinterbliebenen der Toten von Cizîr erneut vor den EGMR in Straßburg ziehen werden.