Der Tod der Rechtsanwältin Ebru Timtik, die in der Gefangenenstation eines Istanbuler Krankenhauses an den Folgen eines monatelangen Hungerstreiks verstorben ist, wäre vermeidbar gewesen. Das erklärten der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, sowie zwölf weitere Sachverständige der UNO für Menschenrechte am Mittwoch in Genf und forderten die Türkei auf, andere inhaftierte Menschenrechtsverteidiger*innen freizulassen.
„Niemand sollte im Streben nach einem fairen Prozess sterben müssen; dies ist ein grundlegendes Menschenrecht“, so die Fachgruppe. „Dies ist eine unglaubliche Verschwendung eines Menschenlebens, und wir sind sehr bestürzt über den Tod dieser mutigen Menschenrechtsverteidigerin sowie über die Umstände, die zu ihrem Tod geführt haben.“
Ebru Timtik starb vergangene Woche Donnerstag nach drei Jahren Haft und einem 238 Tage andauernden Hungerstreik. Zusammen mit anderen Anwält*innen der Kanzlei „Rechtsbüro des Volkes“ (HHB) war sie im September 2017 verhaftet und zwei Jahre später wegen Terrorvorwürfen zu einer dreizehneinhalbjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Ihr wurden aufgrund von widersprüchlichen Aussagen eines Kronzeugen Verbindungen zur DHKP-C zur Last gelegt, die in der Türkei als Terrororganisation gilt. Den im Februar für ein gerechtes Verfahren begonnenen Hungerstreik hatte Timtik am 5. April – dem „Tag des Anwalts” – in ein Todesfasten umgewandelt.
Zwar stellte die Istanbuler Gerichtsmedizin bei Timtik eine Haftunfähigkeit fest, trotzdem wurde sie nicht aus dem Strafvollzug entlassen. Auch eine Beschwerde beim türkischen Verfassungsgerichtshof in Ankara blieb erfolglos. Zuletzt wog sie nur noch 33 Kilogramm.
UNO forderte schon 2017 Erklärung von Ankara
Schon kurz nach der Verhaftung der HHB-Anwält*innen hatten UN-Sachverständige die Türkei formell aufgefordert, die Haftgründe und erhobenen Vorwürfe zu erklären. „Wir haben die türkische Regierung 2017 gebeten, zu erklären, wie ihre Verhaftung und Verurteilung mit den Verpflichtungen des Staates nach den internationalen Menschenrechtsgesetzen vereinbar sind“, erklärten die UN-Sachverständigen. Formuliert worden waren Vorwürfe der unrechtmäßigen Inhaftierung, des unfairen Gerichtsverfahrens und der Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit. „Wir bedauern, dass kaum etwas getan wurde, um dieses tragische Ergebnis zu verhindern.“
Rechenschaftspflicht erfüllen
Die Expert*innen der UNO fordern die Türkei nun zu einer wirksamen Untersuchung des Todes von Timtik auf. Außerdem verlangen sie, einen umfassenden Prozess der Rechenschaftspflicht in Gang zu setzen, und die „Grundsätze eines fairen Verfahrens“ durch die Wiederaufnahme der Fälle der anderen inhaftierten Menschenrechtsverteidiger*innen zu „wahren“. Die türkische Regierung müsse auch unverzüglich Maßnahmen ergreifen, um Personen freizulassen, die „völkerrechtswidrig inhaftiert und verurteilt“ wurden.
UN-Sonderberichterstatter*innen (special rapporteurs) werden durch ein Mandat der Vereinten Nationen bestimmt und arbeiten ehrenamtlich zu einem Bereich. Die Expertise von Sonderberichterstatter*innen bezieht sich auf ein bestimmtes Thema (z. B. Recht auf Wasser, Folter, Meinungsfreiheit) oder auf eine geographische Region (z. B. Irak, Syrien, Myanmar).