Es ist der 18. September 2015: In der Umgebung von Sason (auch Qabilcewz) in der Provinz Êlih (tr. Batman) brechen im Zuge einer Militäroperation schwere Auseinandersetzungen zwischen der kurdischen Guerilla und der türkischen Armee aus. Mehr als 80 Menschen, unter ihnen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, Aktive aus Politik und Zivilgesellschaft sowie Parlamentsabgeordnete, begeben sich daraufhin als „zivile Schutzschilde“ in das Operationsgebiet. Sie wollen verhindern, dass es zu Toten kommt. „Ganz gleich, ob es sich um Kämpfende der Guerilla oder Soldaten handelt“, sagt der damalige Vorsitzende der HDP Sason, Kazım Yavuz.
Die Menge erreichte damals lediglich den letzten Kontrollpunkt vor dem Operationsgebiet in Höhe des örtlichen Gendarmeriekommandos. Bis auf wenige Ausnahmen wurden alle Beteiligten der Friedensinitiative festgenommen, mehr als zwei Dutzend von ihnen landeten für rund einen Monat in Untersuchungshaft. In der Folge wurde Anklage gegen 76 Personen erhoben, die Staatsanwaltschaft hatte eine ganze Liste an Vorwürfen zusammengetragen: Mitgliedschaft in einer sowie Propaganda für eine bewaffnete „Terrororganisation“, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Begünstigung einer Straftat, Verstoß gegen das Versammlungsgesetz, widerrechtlicher Aufenthalt in militärischem Sperrgebiet.
Die damalige Ko-Bürgermeisterin Gülistan Akel, die sich an der Aktion beteiligte, wird nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft in Êlih empfangen.
Ganze sieben Jahre lang wurde in dem Fall verhandelt. Am 30. November endete der Prozess dann mit Schuldsprüchen für insgesamt 32 Personen. Die 2. Schwurgerichtskammer Batman verhängte Freiheitsstrafen in Höhe von drei Jahren, einem Monat und 15 Tagen, in allen Fällen wegen „wissentliche und willentliche Unterstützung einer bewaffneten Terrororganisation, ohne in die hierarchischen Strukturen der Organisation eingebunden zu sein“.
„Einmal Feind, immer Feind“
Neben dem Journalisten Engin Eren, der die „menschlichen Schutzschilde“ damals für die inzwischen verbotene kurdische Nachrichtenagentur DIHA begleitet hatte, und dessen Fotoapparat und Speicherkarte im Prozess als Beweis für die „begangene Straftat“ dienten, wurde unter anderem auch Abdullah Bilir verurteilt. Dabei ist das Gericht schon vor Monaten darüber informiert worden, dass der HDP-Aktivist im vergangenen Juli verstorben ist. Dennoch sahen die Richter nicht davon ab, Bilir postum zu verurteilen. Denn so gilt er auch nach dem Tod offiziell als Verbrecher. „Einmal Feind, immer Feind“ - das ist selbst bei toten Kurdinnen und Kurden die Handlungsmaxime der türkischen Justiz.