Seebrücke: Für Solidarität statt Abschottung

Der Diskurs über Asylpolitik in Deutschland und Europa verschiebt sich immer weiter nach rechts. Wie navigiert die Seebrücke durch diese Politik und Kriminalisierung von Migration und Seenotrettung? Ein Gespräch mit Sarah Malik und Moya Schiller.

Kriminalisierung von Migration und Flucht

Seit 2018 setzt sich die Seebrücke für eine menschenwürdige Migrationspolitik ein. Mit Kampagnen, Protesten und direkter politischer Arbeit hat die Bewegung in den letzten Jahren maßgeblich dazu beigetragen, dass hunderte Kommunen sich zu „Sicheren Häfen“ erklärten. Doch die deutsche Migrationspolitik verschärft sich. Migration und Flucht wird zunehmend kriminalisiert und die Seenotrettung erschwert. Wie navigiert die Seebrücke durch diese Herausforderungen? Welche Strategien verfolgt sie, um mehr Städte für die Aufnahme von Schutzsuchenden zu gewinnen? Und welche Rolle spielt die Zivilgesellschaft im Kampf gegen den Rechtsruck? Im Gespräch mit ANF geben Sarah Malik und Moya Schiller von der Seebrücke Einblicke in ihre Arbeit, Erfolge und Herausforderungen – und zeigen auf, warum Solidarität gerade jetzt wichtiger denn je ist.

Welche Erfolge konntet ihr seit eurer Gründung in der Migrationspolitik erzielen?

Seit unserer Gründung 2018 haben wir maßgeblich dazu beigetragen, dass über 350 Städte und Kommunen in Deutschland sich zu „Sicheren Häfen“ erklärt haben. Damit setzen sie ein klares Zeichen für eine solidarische Migrationspolitik und fordern aktiv die Aufnahme von Geflüchteten über die staatlichen Quoten hinaus. Durch unseren Druck konnten wir dazu beitragen, dass einzelne Bundesländer eigenständige Aufnahmeprogramme auf den Weg gebracht haben – trotz Widerstand der Bundesregierung. Zudem haben wir das Thema Seenotrettung in der öffentlichen Debatte gehalten und erreicht, dass Städte bereit sind, zivile Rettungsmissionen zu unterstützen.

Was sind die größten Herausforderungen in der aktuellen politischen Landschaft für eure Arbeit?

Die größte Herausforderung ist der zunehmende sogenannte Rechtsruck in der Gesellschaft und in den politischen Institutionen. Migration wird immer stärker kriminalisiert, und humanitäre Verantwortung wird abgelehnt. Besonders problematisch ist, dass selbst Parteien, die sich früher für eine offene Gesellschaft eingesetzt haben, zunehmend migrationsfeindliche Narrative übernehmen. Wir konnten das in diesem Wahlkampf sehr deutlich beobachten.

Auf kommunaler Ebene scheitert die Aufnahme oft an bürokratischen Hürden oder politischem Widerstand. Gleichzeitig wird die zivile Seenotrettung durch restriktive Gesetze weiter unter Druck gesetzt.

Wie können Kommunen konkret zur Verbesserung der Aufnahme und Integration von Geflüchteten beitragen?

Kommunen können aktiv werden, indem sie:

- Sichere Unterkünfte und Wohnraum für Geflüchtete bereitstellen, anstatt sie in Sammelunterkünften unterzubringen.

- Zugang zu Sprachkursen, Bildung und Arbeitsmöglichkeiten erleichtern.

- Sich auf Landes- und Bundesebene für die direkte Aufnahme von Schutzsuchenden einsetzen.

- Sich mit anderen „Sicheren Häfen“ vernetzen, um gemeinsam Druck auf die Bundesregierung auszuüben.

Welche Strategien verfolgt ihr, um mehr Städte und Gemeinden zu „Sicheren Häfen“ zu machen?

Die Seebrücke Lokalgruppen arbeiten auch eng mit lokalen Gruppen zusammen, die in ihren Städten für eine Aufnahme von Geflüchteten kämpfen. Dabei setzen wir auf Öffentlichkeitsarbeit, kommunale Petitionen, Vernetzung mit progressiven Politiker:innen und direkten politischen Druck. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Mobilisierung der Zivilgesellschaft: Wenn Bürger:innen aktiv fordern, dass ihre Stadt ein „Sicherer Hafen“ wird, wächst der Druck auf die Kommunalpolitik.

Wie reagiert ihr auf die zunehmende Kriminalisierung von Seenotrettung und zivilgesellschaftlichem Engagement?

Wir solidarisieren uns mit den kriminalisierten Seenotrettungsorganisationen und allen Aktivist:innen, die in diesen Tagen kriminalisiert werden und staatliche Repressionen erfahren. Wir setzen uns dafür ein, dass die Kriminalisierung öffentlich angeprangert wird. Gleichzeitig üben wir politischen Druck auf die Bundesregierung aus, damit sie sich gegen diese Angriffe auf Menschenrechte stellt.

Wir sehen es als unsere Aufgabe, nicht nur über die Angriffe auf die zivile Seenotrettung zu berichten, sondern auch über die tödlichen Folgen der Abschottungspolitik der EU.

Welche Rolle spielen lokale Seebrücke-Gruppen bei der Unterstützung geflüchteter Menschen vor Ort?

Seebrücke Lokalgruppen versuchen konkrete Solidarität vor Ort zu organisieren. Sie setzen sich in ihren Kommunen für menschenwürdige Aufnahmebedingungen ein, unterstützen Geflüchtete im Alltag und arbeiten mit anderen Organisationen zusammen, um rechtliche und praktische Hilfe anzubieten.

Sie sind auch zentrale Akteure, wenn es darum geht, auf Missstände aufmerksam zu machen und Proteste gegen Abschiebungen oder rassistische Strukturen zu organisieren. Dafür organisieren sie sich oft in breiten zivilgesellschaftlichen Bündnissen.

Wie bewertet ihr die aktuelle EU-Asylpolitik und welche konkreten Veränderungen fordert ihr?

Die aktuelle EU-Asylpolitik ist geprägt von Abschottung, Illegalisierung und einer Militarisierung der Außengrenzen. Anstatt sichere Fluchtwege zu schaffen, werden Menschen in Lager gesperrt, in Staaten zurückgeschickt, in denen sie Folter und Inhaftierung ausgesetzt sind oder durch das EU-Grenzregime getötet.

Wir fordern:

- Ein Ende der Gewalt an den EU-Außengrenzen, inklusive der Abschaffung von Frontex.

- Die Schaffung sicherer und legaler Fluchtwege.

- Ein faires Asylsystem, das Schutzrechte respektiert, anstatt Geflüchtete in Drittstaaten abzuschieben.

- Die Abschaffung der Dublin-Regelungen, die Menschen zwingen, in überforderten Erstaufnahmeländern zu bleiben.

- Abschiebungen stoppen

Wie kann die Zivilgesellschaft aktiv werden, um eure Forderungen zu unterstützen?

Jede:r kann aktiv werden, indem er*sie:

- Sich in einer lokalen Seebrücke-Gruppe engagiert.

- Druck auf Kommunal- und Bundespolitiker:innen ausübt, z. B. durch offene Briefe, Petitionen oder direkte Forderungen an Bürgermeister*innen und Abgeordnete.

- Öffentliche Aufmerksamkeit schafft, indem er*sie Demonstrationen unterstützt, Aktionen plant oder in sozialen Medien aktiv ist.

- Geld oder Ressourcen an Seenotrettungsorganisationen und lokale Initiativen spendet.

Welche Bedeutung hat Solidarität in Zeiten eines gesellschaftlichen Rechtsrucks für eure Arbeit?

Solidarität ist unser zentrales Prinzip – ohne sie wäre unsere Arbeit nicht möglich. Der Rechtsruck bedeutet, dass wir uns noch entschlossener gegen menschenverachtende Politik stellen müssen.

Gerade in Zeiten, in denen staatliche Institutionen und Parteien versagen, braucht es eine starke Zivilgesellschaft, die klar macht: Eine andere, solidarische Gesellschaft ist möglich – und nötig!

Die Verantwortung, Räume der Solidarität zu erhalten und praktische Solidarität zu leisten, liegt daher einmal mehr bei der Zivilgesellschaft.

Die Seebrücke setzt sich auch für die Rechte der kurdischen Bevölkerung ein. Warum positioniert sich die Seebrücke klar gegen anti-kurdischen Rassismus, während viele andere antirassistische NGOs zögern?

Wir sehen den Kampf gegen anti-kurdischen Rassismus als Teil unseres antirassistischen und antifaschistischen Selbstverständnisses. Gerade kurdische Communities sind sowohl in Deutschland als auch international stark von Repression betroffen – sei es durch Kriminalisierung, strukturelle Benachteiligung oder direkte Gewalt.

Viele große NGOs scheuen sich davor, klar Stellung zu beziehen, weil sie politische Konsequenzen fürchten oder Fördergelder nicht riskieren wollen. Wir sehen es jedoch als unsere Pflicht, marginalisierte Gruppen konsequent zu unterstützen – nicht nur in Worten, sondern auch durch konkrete Aktionen und Solidarität auf der Straße.

Es kann keine selektive Solidarität geben. Wer sich gegen Rassismus einsetzt, muss sich auch gegen anti-kurdischen Rassismus stellen.

Die Seebrücke ist eine breite zivilgesellschaftliche und antirassistische Bewegung, die sich für Seenotrettung, sichere Fluchtwege und die dauerhafte Aufnahme geflüchteter Menschen in Deutschland einsetzt.

Die Seebrücke ruft dazu auf, sich dem Rechtsruck mit Solidarität entgegenzustellen. Das bedeutet, sich aktiv gegen jede Form von Entrechtung zu wehren – sei es durch Unterstützung für Geflüchtete, den Schutz von sozialen Räumen oder den Widerstand gegen rassistische und autoritäre Gesetzgebungen.

Titelfoto: Seebrücke Heidelberg © Charlotte Boys