Die Regensburger Seenotrettungsorganisation Sea-Eye zieht für das zu Ende gehende Jahr eine „bittere und besorgniserregende Bilanz“. 2023 sei für schutzsuchende Menschen an den Außengrenzen der Europäischen Union das tödlichste der zurückliegenden fünf Jahre gewesen, mehr als 2.500 Menschen seien bei dem Versuch ums Leben gekommen, in Europa Schutz, Sicherheit und Freiheit zu finden, teilte die Organisation am Samstag mit.
Zudem sei für 2024 ein Siegeszug rechtsnationaler Parteien bei der Europawahl sowie den Landtagswahlen in Deutschland zu befürchten. Damit dürften die Bedingungen für die Seenotrettung noch schwieriger werden. „Die Antwort auf diese Entwicklung kann nur eine ausgewogene Sozialpolitik sein. Weitere Angriffe auf Menschenrechtskonventionen und auf die Rechte asylsuchender Menschen stärken rechtsnationale Parteien. Es braucht eine schnelle Kehrtwende in der Sozialpolitik und mehr Solidarität gegenüber allen Menschen, die unseren Schutz und unsere Unterstützung benötigen“, sagt Gorden Isler, Vorsitzender von Sea-Eye.
Die Organisation kritisierte mehrere Länder und die EU scharf. Italien beordere Rettungsschiffe in weit entfernte Häfen und sorge so dafür, dass die Missionen der Schiffe unterbrochen oder vorzeitig beendet werden und die Ressourcen der Seenotrettungsorganisationen „nicht auf die effektivste Weise eingesetzt“ würden, „um möglichst viele Menschen vor dem Ertrinken zu retten“. Zudem seien Rettungsschiffe, darunter auch die „Sea-Eye 4“, mehrmals festgesetzt worden, wogegen die Organisation laut Mitteilung klagt.
Malta zieht sich zurück
Weiterhin habe sich die maltesische Rettungsleitstelle vollständig aus der Koordinierung von Seenotfällen flüchtender Menschen zurückgezogen. „Die maltesische Such- und Rettungszone wurde so zu einem riesigen, lebensgefährlichen Seegebiet für Schutz suchende Menschen in kleinen Schlauch- und Holzbooten“, prangerte Sea-Eye an. Auch die vereinbarte Reform der EU-Asylpolitik bedeute eine dramatische Verschärfung. Zukünftig sollten schutzsuchende Menschen an den EU-Außengrenzen „allein deshalb inhaftiert werden können, weil sie Schutz suchen“. Richtung Bundestag hieß es, das beschlossene „Rückführungsverbesserungsgesetz“ kriminalisiere Menschen, die Schutzsuchende unterstützten.
106 Bootsmigrant:innen gerettet
In der süditalienischen Stadt Brindisi brachte Sea-Eye derweil 106 gerettete Bootsmigrant:innen an Land. Die „Sea-Eye 4“ erreichte mehrere Tage nach der Bergung der Menschen im zentralen Mittelmeer den Hafen, wie die Organisation mitteilte. Die Seenotretter retteten sie am Dienstag aus internationalen Gewässern südlich der italienischen Insel Lampedusa. Die Crew sei auf zwei seeuntaugliche Boote aufmerksam geworden und habe die Menschen an Bord genommen. Unter den Schutzsuchenden befanden sich 45 Minderjährige – einige auch unbegleitet. Es handelte sich um die letzte Rettungsmission von Sea-Eye in diesem Jahr, wie die Organisation erklärte.
Titelfoto © Sea-Eye | Leon Salner