Instrument der Ausgrenzung: Bezahlkarte für Geflüchtete

Die in Deutschland für Geflüchtete eingeführte Bezahlkarte ist ein stigmatisierendes Instrument der Ausgrenzung. Die Online-Beratungsstelle Pena.ger zeigt Möglichkeiten aktiver Solidarität auf und lädt zum Mitmachen ein.

Online-Beratungsstelle Pena.ger

In diesem Artikel beleuchtet Pena.ger, eine bundesweite Online-Beratungsstelle für Geflüchtete (Instagram: @pena.ger), aus unterschiedlichen Perspektiven die Bezahlkarte für Geflüchtete, die zur weiteren Stigmatisierung, Diskriminierung und Ausgrenzung von nach Deutschland geflohenen Menschen führt. Daneben wird aufgezeigt, wie die solidarische Zivilgesellschaft Strukturen schafft, um Geflüchtete in dieser Prekarität zu unterstützen. Zudem wird auch auf die Neugründung der Plattform Penager_maf (@penager_maf) verwiesen, die Geflüchteten und Multiplikator:innen hilfreiche Informationen rund um das Thema Flucht und Migration in Deutschland auf verschiedenen Sprachen bereitstellt.

Einleitende Bemerkungen

Wir, die bundesweite Online-Beratungsstelle für Geflüchtete, Pena.ger, sind alarmiert über die zunehmenden Berichte von Ratsuchenden, die unter den Einschränkungen der diskriminierenden Bezahlkarte leiden. In diesem Artikel möchten wir aufzeigen, was die Bezahlkarte ist und was man gegen dieses diskriminierende Instrument unkompliziert tun kann. Geflüchteten stehen monatlich lediglich 50 Euro Bargeld zur Verfügung, während die Bezahlkarte kaum ausreicht, um die grundlegenden Bedürfnisse zu decken.

Die Regelleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz werden überwiegend über die Bezahlkarte ausgezahlt. Davon dürfen monatlich nur 50 Euro in bar abgehoben werden, der Rest ist ausschließlich für Kartenzahlungen vorgesehen. Dies erschwert den Alltag erheblich, da viele grundlegende Ausgaben oft nur mit Bargeld bezahlt werden können. Die Maßnahme, die ursprünglich zur Unterstützung der Verwaltung und zur Reduzierung von Auslandsüberweisungen eingeführt wurde, erweist sich in der Praxis als diskriminierend, entwürdigend und ineffektiv.

Täglich erreichen uns Schilderungen von Menschen, die die massiven Herausforderungen durch die Bezahlkarte verdeutlichen: Sie können ihre Kinder nicht mit Beträgen für Schulausgaben unterstützen, alltägliche Lebensmittel wie Kakao oder Brötchen vom Schulkiosk bleiben unerschwinglich, und gravierende Einschränkungen im täglichen Leben sind die Folge. Diese Praxis führt nicht nur zur Stigmatisierung, sondern auch zu einer systematischen Ausgrenzung.

Als Online-Beratungsstelle, die mit Geflüchteten aus dem gesamten Bundesgebiet im Austausch steht, fordern wir die Abschaffung der Bezahlkarte. Wir appellieren an die Leser:innen von ANF, sich vor Ort zu organisieren und sich mit solidarischen Tauschaktionen gegen die Einführung und den Einsatz der Bezahlkarte zu beteiligen. Gemeinsam können wir ein starkes Zeichen gegen Diskriminierung setzen – für Würde und soziale Gerechtigkeit!

1. Was ist die Bezahlkarte für Geflüchtete?

Am 16. Mai 2024 trat in Deutschland eine Regelung in Kraft, die für viele Geflüchtete das Leben deutlich erschwert: Die flächendeckende Einführung einer sogenannten Bezahlkarte. Diese Karte ersetzt Bargeldauszahlungen für Menschen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG)1 erhalten. Doch anstatt den Alltag zu erleichtern, sorgt sie für massive Einschränkungen, rechtliche Unsicherheit und gesellschaftliche Ausgrenzung. Solidarische Netzwerke und Initiativen stemmen sich mit solidarischen Tauschaktionen gegen die Auswirkungen dieses Systems.

Die Bezahlkarte funktioniert wie eine Guthabenkarte, ist jedoch nicht an ein Bankkonto angebunden. Sie ermöglicht keine Überweisungen oder Lastschriften, sondern ausschließlich Kartenzahlungen in bestimmten Geschäften wie beispielsweise Edeka, Rewe, Lidl oder Aldi, da diese standardmäßig Debitkartenzahlungen ermöglichen. Allerdings gibt es erhebliche Herausforderungen, insbesondere in ländlichen Gebieten oder kleineren Geschäften, die häufig keine bargeldlosen Zahlungen anbieten. Second-Hand-Läden, kleinere Friseure oder Gebrauchtwarenmärkte lehnen die Karten oftmals ab, was die Einkaufsmöglichkeiten der Geflüchtete stark einschränkt (vgl. Seidl 2024, o.S.). Das Ziel, so die Bundesregierung (2024), sei eine Reduzierung des Verwaltungsaufwands sowie die Verhinderung illegaler Geldtransfers ins Ausland. Spätestens nach der Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) auf Grundlage von Befragungen zwischen den Jahren 2013-2022 sollte es widerlegt sein. „Nur sieben Prozent der Geflüchteten und zwölf Prozent der Migrant*innen ohne Fluchthintergrund sandten im Jahr 2021 Geld ins Ausland“ (Silva & Zinn 2024, S. 771).

2. Kritik an der diskriminierenden Bezahlkarte

Die Bezahlkarte für Geflüchtete in Deutschland weist eine Vielzahl von Problemen auf, auf die wir folglich eingehen möchten: 1) Die eingeschränkte Nutzungsmöglichkeiten: Die Karte funktioniert nur in bestimmten Geschäften und schränkt den Zugang zu grundlegenden Produkten und Dienstleistungen ein. Zudem gibt es Obergrenzen für Bargeldabhebungen, was den finanziellen Spielraum stark einschränkt. Diese Obergrenze beläuft sich auf 50 Euro. 2) Bürokratischer Aufwand: Die Einführung der Karte verursacht massive Mehrarbeit für die Verwaltung und führt zu keinerlei Minimierung des Verwaltungsaufwandes. Diese Mehrarbeit wird durch technische Probleme, Durchführungen jeglicher Überweisungen und Missverständnisse bei der Handhabung der Karte weiter belastet. 3) Rechtswidrigkeit und Unklarheiten: Es gibt bereits erste Gerichtsurteile aus Nürnberg und Hamburg, die bestätigen, dass die Praxis, wie sie derzeit umgesetzt wird, in einigen Fällen rechtswidrig ist, etwa wenn die Karte bei bestimmten Transaktionen oder in spezifischen Kontexten nicht zugelassen wird. 4) Stigmatisierung und Ausgrenzung: Die Karte markiert Geflüchtete als „anders“ und schafft eine künstliche Trennung zwischen ihnen und anderen Bürger:innen, was zu sozialer Ausgrenzung und Stigmatisierung führt. Dies untergräbt die Integration und beeinträchtigt die Würde der Betroffenen. 5) Unzureichende Anpassung an individuelle Bedürfnisse: Die Bezahlkarte ist starr und lässt wenig Raum für individuelle Anpassungen, was für Geflüchtete in unterschiedlichen Lebenssituationen problematisch ist, etwa für Menschen mit speziellen Gesundheitsbedürfnissen oder Familien, die größere Beträge benötigen (vgl. Pro Asyl 2024; Amnesty international 2024).

3. Was ist die Tauschaktion?

Als Antwort auf die Beschneidung der Rechte für Geflüchtete über die selbstbestimmte Verfügung ihres Geldes haben sich in vielen Bundesländer solidarische Gruppen zusammengetan, die „Tauschaktionen“ praktisch, solidarisch ins Leben gerufen haben unter dem Titel: „Nein zur Bezahlkarte“ oder „Nein zur diskriminierenden Bezahlkarte“.

Die Initiativen in Städten wie Bremen, Hamburg, Oldenburg, Hannover, Lüneburg, Osnabrück, Erfurt, Jena, Dresden, Leipzig, Frankfurt, Bamberg, Aschaffenburg, Erlangen, Nürnberg, Eichstätt, Augsburg, München, Rosenheim, Ingolstadt, Freiburg, Passau, Weimar, Regensburg, Landshut, Würzburg, Braunschweig, Stuttgart und Darmstadt (Stand Dezember 2024) organisieren Tauschaktionen. Diese Aktionen werden von Solidaritätsgruppen unterstützt, um den eingeschränkten Zugang zu Bargeld zu umgehen, der mit der Karte verbunden ist. Die Geflüchteten kaufen Supermarkt-Gutscheine (die Liste der akzeptierenden Geschäfte werden ihnen bereitgestellt), um diese gegen Bargeld eintauschen. Das bedeutet, dass Geflüchtete zu bspw. Lidl, Rewe, DM, Aldi oder Edeka gehen und einen Gutschein für 50 Euro kaufen, diesen bringen sie zu einer der solidarischen Tauschstellen und bekommen 50 Euro in bar. Die solidarischen Menschen, die Geld für die Tauschaktion zur Verfügung gestellt haben, bekommen im Anschluss an die Tauschaktion für ihre 50 Euro einen Gutschein, den die Geflüchteten vorher gekauft haben (vgl. Offen München für eine solidarische Gesellschaft 2024). Diese Art der Hilfe stellt eine praktische Antwort auf die diskriminierende Einschränkung der Karte dar, um die Nutzungsmöglichkeiten der Betroffenen zu erweitern und die negativen sozialen Folgen zu mildern.

4. Was kann noch gegen die diskriminierende Bezahlkarte getan werden?

Eine weitere wichtige Maßnahmen gegen die diskriminierende Bezahlkarte für Geflüchtete ist beispielsweise eine systematische Dokumentation von Beschwerden der Betroffenen, um rechtliche Schritte einzuleiten. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und PRO ASYL haben bereits erfolgreich gegen pauschale Bargeldbeschränkungen geklagt. So entschied das Sozialgericht Hamburg, dass eine pauschale Bargeldobergrenze von 50 Euro für Asylbewerber unzulässig ist und individuelle Lebensumstände berücksichtigt werden müssen (vgl. Gesellschaft für Freiheitsrechte 2024). Dieses Urteil unterstreicht die Bedeutung juristischer Maßnahmen im Kampf gegen diskriminierende Praktiken. Durch die sorgfältige Erfassung von Beschwerden und die Unterstützung durch Organisationen wie die GFF und PRO ASYL können weitere Klagen vorbereitet werden, um die Rechte der Geflüchteten zu schützen und diskriminierende Maßnahmen abzuwenden.

5. Wo gibt es Hilfe und Unterstützung?

Es gibt zahlreiche Beratungsstellen und Solidaritätsgruppen, die Geflüchteten in Deutschland Unterstützung bieten. Diese Gruppen engagieren sich auf vielfältige Weise: Mit Tauschaktionen, rechtlicher Unterstützung und politischem Druck kämpfen Solidaritätsgruppen und Beratungsstellen für die Rechte der Betroffenen. Diese Arbeit ist nicht nur ein Zeichen der Menschlichkeit, sondern auch ein Schritt hin zu einer inklusiveren und gerechteren Gesellschaft.

Beratungsstellen und Organisationen:

  1. Pena.ger, die bundesweite Online-Beratungsstelle für Geflüchtete (@pena.ger), Pro Asyl (@proasyl), Freiheitsrechte (@freiheitsrechte) und Seebrücke (@seebrueckeoffiziell). Sie bietet umfassende Unterstützung bei rechtlichen Fragen und Verfahren gegen diskriminierende Maßnahmen wie die Bezahlkarte.

  2. Geflüchtetenräte*: In fast allen Bundesländern gibt es Geflüchtetenräte, die direkte Beratung, Vernetzung und Unterstützung für Geflüchtete organisieren. Sie sind oft erste Ansprechpartner für Menschen, die rechtliche oder soziale Hilfe benötigen.

  3. Lokale Solidaritätsnetzwerke: Gruppen wie “Nein zur Bezahlkarte” in Städten wie München (@offen.kampagne), Hamburg (@neinzurbezahlkartehamburg), Bremen (@nein_zur_bezahlkarte_bremen), Leipzig (@nein_zur_bezahlkarte_leipzig), Oldenburg (@neinzurbezahlkarteol), Nürnberg (@kartentausch_nbg), Würzburg (@wuerzburgsolidarisch) und Rosenheim (@bkt_rosenheim), Hannover (@neinzurbezahlkartehannover), Osnabrück (@neinzurbezahlkarteos), Lüneburg (@seebruecke.lueneburg) und Braunschweig (@seebruecke_braunschweig), Erfurt: (@seebruecke_erfurt), Jena: (@seebruecke_jena), Dresden: (@nzbk_dd), Frankfurt: (@keinebezahlkartefrankfurt), Bamberg: (@kartentausch_bamberg), Erlangen: (@kartentausch_er), Nürnberg: (@kartentausch_nbg), Eichstätt: (@offen_eichstaett), Augsburg: (@fluechtlingsrat.augsburg), Ingolstadt: (@offenesantifatreffen), Freiburg: (@aktion_bleiberecht), Passau: (@seebruecke.passau), Weimar: (@aufdiestrasse_), Regensburg: (www.kartentausch-regensburg.de), Landshut: (@solidarische_wechselstube_la), Darmstadt: @bgr_darmstadt

Meldet euch, wenn ihr euch mitorganisieren wollt, bei Pena.ger, der bundesweiten Online-Beratungsstelle für Geflüchtete, unter [email protected]

Literatur:

Amnesty international (2024): DEUTSCHLAND: AMNESTY-ANLIEGEN ZUR IMK-HERBSTTAGUNG 2024. Verfügbar unter: https://www.amnesty.de/positionspapiere/deutschland-imk-herbsttagung-2024-amnesty-anliegen (Letzter Zugriff: 19.12.2024).

Brücker, H. (2024). Stellungnahme: Wissenschaftliche Einschätzung der Bezahlkarte für Geflüchtete. Verfügbar unter: https://www.dezim-institut.de/fileadmin/user_upload/Demo_FIS/publikation_pdf/FA-6050.pdf (Letzter Zugriff: 19.12.2024).

Die Bundesregierung (2024). Bezahlkarte für Geflüchtete. Verfügbar unter: https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/bezahlkarte-fluechtlinge-2263574 (Letzter Zugriff: 19.12.2024).

Gesellschaft für Freiheitsrechte (2024). MIT DER BEZAHLKARTEUNTER DAS EXISTENZMINIMUM. Verfügbar unter: https://freiheitsrechte.org/themen/gleiche-rechte-und-soziale-teilhabe/bezahlkarte (Letzter Zugriff: 20.12.2024).

Offen München für eine solidarische Gesellschaft (2024). Verfügbar unter: https://offen-muenchen.de (Letzter Zugriff: 19.12.2024).

Pro Asyl (2024): Flüchtlingspolitische Anliegen zur Innenministerkonferenz Juni 2024

STELLUNGNAHMEN & GUTACHTEN. Verfügbar unter: https://www.proasyl.de/wp-content/uploads/Fluechtlingspolitische-Anliegen-PRO-ASYL-IMK-Juni-2024.pdf (Letzter Zugriff: 19.12.2024).

Seidl. J. (2024). „Bar oder mit Karte?“, Artikel zur verfassungsrechtlichen Bewertung der Bezahlkarte von Julian Seidl auf dem Verfassungsblog. Verfügbar unter: https://verfassungsblog.de/bar-oder-mit-karte/ (Letzter Zugriff: 19.12.2024).

Silva, A. C., & Zinn, S. (2024). Geflüchtete senden seltener Geld ins Ausland als andere Migrant* innen. DIW Wochenbericht91(49), 771-779.

1 Diese Maßnahme betrifft vor allem Personen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, ergo, die die ein Asylgesuch gestellt haben, über dessen Entscheidung jedoch noch nicht entschieden wurde. Ebenso umfasst sie Personen, deren Asylanträge abgelehnt wurden und die sich entweder geduldet oder latent bzw. vollziehbar ausreisepflichtig in Deutschland aufhalten (§ 1 AsylbLG) (vgl. Brücker 2024, S. 1).