Schüler in Haft zu Tode gefoltert
Die Initiative der Samstagsmütter hat bei ihrer 1017. Mahnwache gegen das „Verschwindenlassen“ in staatlichem Gewahrsam vor dem Galatasaray-Gymnasium in Istanbul Aufklärung über das Schicksal von Hüseyin Morsümbül gefordert. Der in Çewlîg (tr. Bingöl) lebende Kurde machte gerade sein Abitur, als er vor 44 Jahren festgenommen wurde – und danach nie wieder auftauchte. Angehörige sind überzeugt: Morsümbül wurde in Haft zu Tode gefoltert und seine Leiche beseitigt.
Am 18. September 1980, knapp eine Woche nach dem Militärputsch in der Türkei, klopfte es an der Tür der Familie Morsümbül. Hüseyin, der aufs Gymnasium ging, sollte die anwesenden Polizisten und Soldaten mit auf die Wache begleiten. Es müsse lediglich seine Aussage aufgenommen werden, sollen sie der besorgten Mutter gesagt haben. Als er jedoch nicht zurückkehrte, fragte Fatma Morsümbül bei der Garnisonskommandantur in Çewlîg nach dem Verbleib ihres Sohnes. Hüseyin befände sich zwar noch immer in Gewahrsam, ein Kontakt zu ihm sei vorerst aber nicht möglich, sei ihr gesagt worden.
Am nächsten Tag suchte Vater Hanefi Morsümbül die Wache auf. Auf die Frage, wann sein Sohn endlich freigelassen werde, habe man ihm geantwortet, dass der Jugendliche aus der gut bewachten Garnison geflohen sei. Die Eltern erstatteten daraufhin Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Bingöl, aber es kam keine Bewegung in den Fall. Stattdessen wurde die Familie von Polizei und Militär schikaniert; Hüseyin Morsümbül kam vorübergehend in Gewahrsam und wurde schwer gefoltert.
2011 wurden erneute Ermittlungen aufgenommen, nachdem der Menschenrechtsverein IHD Anzeige gestellt hatte. Im Rahmen dieser Ermittlungen sagte ein Unteroffizier der Militärpolizei aus, dass Hüseyin Morsümbül kurz nach seiner Festnahme von anderen Unteroffizieren zu Tode geprügelt und sein Leichnam vom Garnisonskommandanten und anderen Militärs weggeschafft worden sei. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren aus Mangel an Beweisen ein. Das Widerspruchsverfahren gegen die Einstellung aus dem Jahr 2015 ist bis heute anhängig.
„Wir müssen die Geschichten der Verschwundenen erzählen, um die Kultur des Vergessens und des Schweigens zu überwinden“, sagte die Aktivistin Maside Ocak, die den Fall Morsümbül vorstellte. „Wenn wir ein Land und eine Welt aufbauen wollen, in der es kein Verschwindenlassen in Haft gibt, ist es nun mal unsere Aufgabe, unsere durch Gewalt und Unrecht unterdrückte Erinnerung mit der Wahrheit zusammenbringen – ob es dem Staat gefällt oder nicht. Der Kampf für Gerechtigkeit für Hüseyin Morsümbül und alle anderen Verschwundengelassenen geht weiter.“