1980 in staatlichem Gewahrsam „verschwunden“
Die Initiative der Samstagsmütter in Istanbul hat zum 1016. Mal das Verschwinden von Menschen in staatlichem Gewahrsam thematisiert und eine Bestrafung der Täter gefordert. Die Frauen kamen mit Bildern ihrer vermissten Angehörigen auf den Galatasaray-Platz und wurden bei ihrer Aktion von vielen Menschenrechtsverteidiger:innen unterstützt.
Thematisiert wurde heute das Schicksal von Cemil Kırbayır, der einen Tag nach dem Militärputsch vom 12. September 1980 in der Provinz Qers (tr. Kars) festgenommen wurde und als erstes Opfer des „Verschwindenlassens“ durch die Militärjunta gilt. Sein Fall wurde vorgestellt von Ikbal Eren, deren Bruder Hayrettin Eren ebenfalls nach der Festnahme verschwunden ist.
Ikbal Eren berichtete, dass Cemil Kırbayır in verschiedenen Haftzentren festgehalten und anfangs von seiner Familie mit notwendigen Bedarfsmitteln versorgt werden konnte. Die Familie habe sogar kurze schriftliche Nachrichten erhalten, in denen er mitteilte, dass es ihm gut gehe und er die Pakete erhalten habe. Nach dem 8. Oktober wurde dann behauptet, er sei geflohen. Tatsächlich wurde der damals 24-Jährige an diesem Tag zu Tode gefoltert. Das bestätigte 2011 eine parlamentarische Untersuchungskommission. Daraufhin wurde seine Mutter Berfo Kırbayır von Recep Tayyip Erdoğan, der damals noch Ministerpräsident war, in den Dolmabahçe-Palast eingeladen.
Berfo Kırbayır war über Jahrzehnte Teil der Samstagsmütter, die seit 1995 Woche für Woche in Istanbul analog zu den argentinischen „Madres de la Plaza de Mayo” in Mahnwachen mit Bildern ihrer verschwundenen Angehörigen Aufklärung fordern. Insgesamt 33 Jahre kämpfte Berfo Ana darum, die Knochen ihres getöteten Sohnes zu bekommen. Am 21. Februar 2013 verstarb sie im Alter von 105 Jahren. Erdoğan hatte ihr zwei Jahre zuvor versprochen, den Fall untersuchen und die Verantwortlichen des Mordes zur Rechenschaft ziehen zu lassen.
Die sterblichen Überreste von Cemil Kırbayır sind nie gefunden worden, die Akte wurde 2021 wegen Verjährung geschlossen. Im Gedenken wurden heute Nelken auf dem Galatasaray-Platz niedergelegt.