Samstagsmütter fordern Aufklärung über Nihat Akdoğan

Die Samstagsmütter haben vor dem Galatasaray-Gymnasium in Istanbul gegen das Verschwindenlassen in staatlichem Gewahrsam protestiert. Thematisiert wurde das Schicksal von Nihat Akdoğan, der 1994 in Midyad verschwunden ist.

Die Istanbuler Samstagsmütter haben zum 973. Mal nach dem Schicksal ihrer in staatlichem Gewahrsam verschwundenen Angehörigen gefragt und eine Bestrafung der Täter gefordert. Nach jahrelanger rechtswidriger Blockade ihres angestammten Kundgebungsortes auf der zentralen Istiklal Caddesi durch die türkischen Behörden war es den Aktivistinnen und ihren Unterstützer:innen in der vergangenen Woche erstmalig wieder gelungen, vor dem Galatasaray-Gymnasium eine Erklärung abzugeben. Dort wurde die Kundgebung trotz starkem Regen auch heute durchgeführt. Thematisiert wurde das Schicksal von Nihat Akdoğan, der 1994 nach seiner Festnahme in Midyad verschwunden ist.


Die Erklärung der Samstagsmütter wurde verlesen von Sebla Arcan, die sich im Menschenrechtsverein IHD gegen das „Verschwindenlassen“ in staatlichem Gewahrsam engagiert. Die Menschenrechtsaktivistin wies auf die unerträgliche Situation für die Angehörigen von Verschwundenen hin und forderte den Staat dazu auf, seiner Verantwortung hinsichtlich der Aufklärung dieser Fälle nachzukommen.

Wer war Nihat Akdoğan?

Nihat Akdoğan lebte als Bauer im Dorf Doğançay in Midyad (Midyat, Provinz Mêrdîn/Mardin) und wurde am 30. November 1994 das letzte Mal lebend gesehen. Damals war er 39 Jahre alt. Sein Dorf weigerte sich damals kollektiv, trotz staatlicher Repression und Gewalt Teil des Dorfschützer-Systems zu werden. Am 30. November 1994 stürmten Spezialeinheiten, Soldaten und Dorfschützer gegen fünf Uhr morgens das Haus der Familie Akdoğan. Nihat wurde aus seinem Bett geprügelt. Als er blutüberströmt auf dem Boden lag, wurden ihm die Augen verbunden und seine Hände gefesselt. Zunächst brachte man ihn in die Wache der Militärpolizei (Jandarma) in Midyad, anschließend wurde er in die Generalkommandantur in Mêrdîn verlegt.

Offiziellen Angaben nach soll Nihat Akdoğan 20 Tage nach seiner Festnahme der Staatsanwaltschaft vorgeführt worden sein. Nach seiner Vernehmung habe man ihn auf freien Fuß gesetzt. Stichfeste Beweise, die diese Behauptung stützen, konnten jedoch nie geliefert werden. Von Nihat Akdoğan fehlt nach wie vor jede Spur.

Nach vielen Jahren tauchte Nihat Akdoğans Name urplötzlich im Todesregister auf. Der Dorfvorsteher, der seinen Tod den Behörden gemeldet hatte, gab an, vom Kommandanten der Militärpolizei gezwungen worden zu sein, die falsche Todesmeldung abzugeben. Seine Familie versucht seit Jahrzehnten in Erfahrung zu bringen, was mit ihm geschehen ist. Auf entsprechende Anträge bei den Behörden erfolgte keine Reaktion.

Nachdem der ehemalige MIT-Funktionär Mehmet Eymür 2021 in einer Reportage mitteilte, dass staatliche Auftragsmörder in den 1990er Jahren Dutzende Personen töteten und die damalige Ministerpräsidentin Tansu Çiller davon gewusst habe, beantragte der Rechtsbeistand der Familie Akdoğan die Aufnahme seiner Aussage, was von der Staatsanwaltschaft abgelehnt wurde. Das Verfahren gilt noch nicht als abgeschlossen, die Akte verstaubt jedoch auf den Regalen der Justiz.