In der nordkurdischen Provinzhauptstadt Mêrdîn (türk. Mardin) ist am Freitag der Prozess gegen Sefer „Aho“ Bileçen fortgesetzt worden. Dem verwaltenden Priester des syrisch-orthodoxen Klosters Mor Yakub (auch als Kirche des Heiligen Jakob von Nisibis bekannt) im Landkreis Nisêbîn (Nusaybin) wird „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“ – gemeint ist die PKK – vorgeworfen, weil er Guerillakämpfern Brot und Wasser gab.
Beim zweiten Verhandlungstag im Verfahren gegen Bileçen, das an der 4. Großen Strafkammer zu Mardin stattfindet, wies der Geistliche die Anschuldigungen gegen ihn zurück und wiederholte seine vorherigen Aussagen. Bileçen streitet die Hilfeleistung nicht ab, betont aber, dass diese keinen politischen Hintergrund gehabt hätte, sondern allein religiösen Überzeugungen entsprächen. Er habe dies nicht getan, um eine Organisation zu unterstützen, sondern seines Glaubens wegen. „Ich gebe jedem zu essen, der an meine Tür kommt – wer auch immer er ist.“ Der Priester ist außerdem angeklagt, den Behörden nicht rechtzeitig die Identitäten der Hilfesuchenden gemeldet zu haben, obwohl er im Nachhinein erfahren habe, dass es sich um Guerillakämpfer handelte. Die Verhandlung wurde von der örtlichen Gemeinde der Suryoye beobachtet. Der Prozess gegen Bileçen wird am 3. November fortgesetzt.
Abt Aho war am 8. Januar in Nisêbîn festgenommen und einen Tag später verhaftet worden. Die Anschuldigungen gegen ihn beruhen auf den Aussagen eines Kronzeugen und ehemaligen Guerillakämpfers, der sich davon Strafminderung verspricht. Nach fünf Tagen in Untersuchungshaft ordnete das zuständige Gericht die Entlassung des Priesters gegen Meldeauflagen an. Nur zwei Tage später ließ die Behörde die Anklage gegen ihn zu.
Die Anklageschrift der Generalstaatsanwaltschaft beschäftigt sich hauptsächlich mit der Historie der kurdischen Arbeiterpartei PKK und dem „Modell eines demokratisch-autonomen Kurdistans“ des zivilgesellschaftlichen Zusammenschlusses KCD (Demokratischer Gesellschaftskongress). Zu den widersprüchlichen Vorwürfen heißt es nur knapp, Abt Aho habe zunächst nicht gewusst, dass es sich bei den Hilfesuchenden um Guerillakämpfer handelt. Als er erfuhr, dass es Mitglieder der HPG seien, habe er sie darum gebeten, die Kirche zu verlassen. Da der Abt den Vorfall, der sich im Jahr 2018 ereignete, aber nicht den Sicherheitsbehörden meldete, und „aufgrund der Häufigkeit und Vielfältigkeit seiner unterstützenden Aktivitäten“, müsste die Straftat als konstant bewerten werden. Es sei ersichtlich, dass der Angeklagte in die „Organisationshierarchie“ eingebunden ist, weil er den Guerillakämpfern Unterschlupf gewährte. Sollte Sefer Bileçen für schuldig befunden werden, drohen ihm mindestens siebeinhalb Jahre Haft.