Pro Asyl fordert sofortigen Abschiebestopp für Ezid:innen

Vor der nächsten Innenministerkonferenz fordert Pro Asyl die Bundesländer und das Bundesinnenministerium auf, einen Abschiebestopp für Ezid:innen zu erlassen und ihnen aus völkerrechtlichen und humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.

Vor Beginn der nächsten Innenministerkonferenz in der bevorstehenden Woche fordert der Verein Pro Asyl die Bundesländer und das Bundesinnenministerium auf, einen bundesweiten Abschiebestopp für Ezidinnen und Eziden zu erlassen und ihnen aus völkerrechtlichen und humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Obwohl der Bundestag die Verfolgung der ezidischen Gemeinschaft als Völkermord anerkannt hat, und die Lage im Irak nach wie vor sehr unsicher ist, gibt es vermehrt Abschiebungen von Ezid:innen, darunter auch Familien.

Ezid:innen dauerhafte und sichere Perspektive schaffen

Zu Beginn dieses Jahres stellte sich der gesamte Bundestag an die Seite der Ezid:innen und erkannte ihre systematische Verfolgung und Ermordung im Nordirak seit 2014 durch die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) als Völkermord an, betont Pro Asyl. „Den guten Worten der Politiker:innen müssen nun auch gute Taten folgen: Menschen, die als Opfer eines Völkermords anerkannt wurden, dürfen nicht in das Land des Völkermords abgeschoben werden“, erklärte Karl Kopp, Sprecher von Pro Asyl, am Samstag in Frankfurt. Die Organisation fordert einen bundesweiten Abschiebestopp für ezidische Schutzsuchende. Darüber hinaus müssten Ezid:innen, die in Deutschland leben, eine dauerhafte und sichere Perspektive bekommen. Deshalb fordert Pro Asyl eine Aufenthaltserlaubnis aus völkerrechtlichen und humanitären Gründen für Ezid:innen nach Paragraf 23 Aufenthaltsgesetz.

Abschiebeflüge lassen alte Traumata aufleben

Im Beschluss des Bundestages am 19. Januar 2023 hieß es unter anderem: „Die Diaspora ist Teil unserer Gesellschaft mit all ihren Erfahrungen und Erinnerungen. Der Deutsche Bundestag wird sich mit Nachdruck zum Schutz êzîdischen Lebens in Deutschland und ihrer Menschenrechte weltweit einsetzen.“ Dennoch haben einige Bundesländer damit begonnen, Geflüchtete, die bislang eine Duldung hatten, in den Irak abzuschieben, kritisiert Kopp. Diese Abschiebeflüge ließen alte Traumata aufleben. Besonders dramatisch sei Mitte November die Abschiebung einer ezidischen Familie aus Bayern gewesen, die brutal auseinandergerissen und am selben Tag in den Irak geflogen wurde.

Größte ezidische Exil-Gemeinde in Deutschland

Mit rund 250.000 Angehörigen lebt die größte ezidische Exil-Gemeinde in Europa in Deutschland. Offizielle Zahlen dazu, wie viele Ezidinnen und Eziden aus Deutschland abgeschoben wurden, gibt es nicht. Pro Asyl schätzt, dass derzeit 5.000 bis 10.000 ezidische Menschen aus dem Irak ausreisepflichtig und von Abschiebungen bedroht sind. Seit Wochen machen ezidische und andere Organisationen darauf aufmerksam, unter anderem mit einem offenen Brief an die Bundestagsabgeordneten und einem Brief an Innenministerin Nancy Faeser.

Pro Asyl: Völkermord schafft neue Realität

Das Schicksal der Ezid:innen sei ein eindrückliches Beispiel für eine neue Realität, die ein Völkermord schaffte, betont Pro Asyl. Es gebe kein „zurück“ in die Zeit davor. „In einem von Minderheiten und zahlreichen Konfliktlinien geprägten Gebiet wie der Herkunftsregion der Ezid:innen hat der Völkermord des IS das sowieso fragile gesellschaftliche Gewebe zerrissen, traumatisierte Opfer stehen Nachbarn gegenüber, die potenzielle Täter waren – und es potenziell jederzeit wieder werden können“, betont die Organisation.

Die Herkunftsregion der Ezid:innen; Şengal, Şingal oder auch Sindschar, stelle ein strategisch wichtiges Grenzgebiet dar, in dem die Interessen zahlreicher Akteure, darunter auch des Irans und der Türkei, aufeinanderprallen. „Die jederzeit prekäre Sicherheitslage wird sich hier nicht grundlegend ändern, solange der Konflikt in Syrien keine Lösung gefunden hat. Für die überwältigende Mehrzahl der vom IS vertriebenen Ezid:innen heißt das: Sie müssen weiterhin auf unabsehbare Zeit in irakischen Flüchtlingslagern leben, die 2014/15 einmal als Nothilfslager eingerichtet wurden: nach bald zehn Jahren immer noch ein Leben in Zelten bei Sommerhitze und bei Schnee.“

Auch die generelle Lage im Irak ist nach wie vor äußerst unsicher, betont Pro Asyl und erinnert daran, dass die Bundesregierung erst vor kurzem mit dieser Begründung die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes zur Bekämpfung der Terrormiliz IS und zur Stabilisierung beschlossen hat. Und auch staatliche Stellen seien nach wie vor für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich, auch Verstöße gegen Menschenrechte im Justizsystem wie Folter und willkürliche Festnahmen seien weit verbreitet. Terroristische Anschläge und Entführungen gehörten weiterhin zum Alltag im Irak, so Pro Asyl.