Der Menschenrechtler Öztürk Türkdoğan ist aus dem Polizeigewahrsam entlassen worden. Die diensthabende Strafabteilung am Amtsgericht Ankara ordnete am Abend die Freilassung des 51-Jährigen an, verfügte allerdings Meldeauflagen und ein Ausreiseverbot. Türkdoğan, der Ko-Vorsitzender des Menschenrechtsvereins IHD ist, war am Freitagmorgen in seiner Wohnung in Ankara festgenommen worden. Ihm wird Mitgliedschaft in einer Terrororganisation und Terrorpropaganda vorgeworfen.
Die Festnahme des renommierten Menschenrechtlers hatte international für Proteste gesorgt. Milena Büyüm von Amnesty International kritisierte: „Die Tinte auf dem Menschenrechtsaktionsplan ist kaum getrocknet“. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte erst Anfang März einen „Aktionsplan“ angekündigt, weil er die Menschenrechtslage im Land verbessern und den Rechtsstaat stärken wolle. Ironischerweise gehörte Öztürk vor der Ausarbeitung des Aktionsplans zu den vom Justizministerium konsultierten Personen.
Über die gegen Türkdoğan erhobenen Vorwürfe war zunächst nichts bekannt, weil ein 24-stündiges Anwaltsverbot angeordnet worden war. Im Verlauf des Tages ruderte die Generalstaatsanwaltschaft Ankara zurück und ließ verlauten, der Menschenrechtler gehöre zu insgesamt zwölf Personen aus der Hauptstadt, die verdächtigt würden, „im Einklang mit den Anweisungen der Terrororganisation" Aktionen und Veranstaltungen in Ankara zu organisieren. Weitere Details wurden nicht genannt.
Öztürk Türkdoğan selbst äußerte sich am Abend im Kölner Nachrichtensender „Arti TV“ zu den Hintergründen der Festnahme. „Die Kriminalisierung unseres Engagements für die Menschenrechte ist vergebens”, sagte Türkdoğan und forderte die türkische Regierung auf, an ihrem Umgang mit Kritikerinnen und Kritikern zu arbeiten. Seine politisch motivierte Festnahme habe einzig darauf abgezielt, unter Ausnutzung der Gerichtsbarkeit Druck auszuüben.
Seit Hetze von Innenminister mit Festnahme gerechnet
Laut Türkdoğan begründe die Generalstaatsanwaltschaft Ankara ihre Ermittlungen gegen ihn mit Reden auf Kundgebungen und Presseerklärungen aus dem Jahr 2019. Auch seien diverse aus illegal abgehörten Telefonaten erstellte Protokolle in die Akte miteingeflossen. Türkdoğan sagte, seit der öffentlichen Hetze von Innenminister Süleyman Soylu mit dieser „illegalen Maßnahme” gerechnet zu haben. Hintergrund dieser Annahme war Türkdoğans Kritik an der türkischen Besatzungsoperation im südkurdischen Gare Mitte Februar. Nach dem Tod von dreizehn Kriegsgefangenen der PKK im Zuge des Angriffs, von denen zwölf türkische Staatsbürger waren, hatte Türkdoğan den Vorfall als Kriegsverbrechen bezeichnet und die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses gefordert. Soylu hatte daraufhin in einer Parlamentserklärung den IHD und führende Vertretetinnen und Vertreter aggressiv angegriffen und ihnen „den Tod gewünscht”.
Absurde Vorwürfe in regierungsnaher Presse
Regierungsnahe türkische Medien berichteten, Öztürk werde beschuldigt, „Verfahren von Mitgliedern der Terrororganisationen PKK/KCK verfolgt”, an „illegalen Aktionen” zum Jahrestag der Aufnahme des bewaffneten Kampfes der kurdischen Bewegung und zur Unterstützung der Studierenden-Proteste an der Istanbuler Boğaziçi-Universität teilgenommen und eine Petition „gegen die Befreiung armenisch besetzter Gebiete von Aserbaidschan” unterzeichnet zu haben. Mit letzterem ist der türkisch-aserbaidschanische Angriffskrieg gegen die Kaukasusrepublik Arzach (Bergkarabach) gemeint. Zudem werde Türkdoğan vorgeworfen, Aktionen zur Unterstützung des Hungerstreiks für ein Ende der Isolation Abdullah Öcalans im Inselgefängnis Imrali „organisiert“ zu haben. Den Hungerstreik hatte die inzwischen wieder inhaftierte kurdische Politikerin Leyla Güven im November 2018 initiiert. Aus ihrer Aktion entwickelte sich eine Hungerstreikbewegung, der sich bis zum Ende des Protests im darauffolgenden Mai mehr als 7.000 Menschen weltweit beteiligt hatten.
HDP-Mitglieder weiter in Polizeigewahrsam
Derweil befinden sich die am Vortag zeitgleich mit Türkdoğan festgenommenen Personen, darunter auch mehrere Mitglieder der Demokratischen Partei der Völker (HDP) wie etwa die Sprecherin des Frauenrats in Ankara, Zeyno Bayramoğlu, der Politiker Ali Özkan aus dem Parteirat, der Ko-Kreisvorsitzende von Mamak, Uğur Akkaya, sowie die Ko-Vorsitzende des Provinzverbands in Eskişehir, Şükriye Ercan, weiterhin in Polizeigewahrsam.