Der Menschenrechtsvereins IHD fordert eine unabhängige und unparteiische Untersuchung zum Tod der 13 Soldaten und Polizisten, die vergangene Woche bei der türkischen Militärinvasion in Gare ums Leben gekommen sind. Bei den Toten handelt es sich um Sicherheitskräfte, die seit 2015 zu verschiedenen Zeitpunkten von der kurdischen Guerilla gefangen genommen worden sind.
Auf einer Pressekonferenz im Zentrum des Menschenrechtsvereins in Ankara erklärte Öztürk Türkdoğan, Ko-Vorsitzender des IHD: „Laut der Erklärung des Verteidigungsministers vom 13. Februar 2021 wurden während einer umfangreichen militärischen Luft- und Bodenoperation in der Region Gare im Nordirak, die am 10. Februar 2021 frühmorgens eingeleitet wurde, 13 Zivilisten tot in einer Schutzhöhle gefunden. Aus Aussagen des Generalstabschefs geht hervor, dass eines der Ziele dieser Militäroperation darin bestand, diese zuvor gefangen genommenen Personen zu retten. Die zutiefst betrübliche Tatsache ist jedoch, dass diese Personen ihr Leben verloren haben und ein Massaker begangen wurde. Wir sprechen den Familien derjenigen, die ihr Leben verloren haben, unser Beileid aus. Wir möchten auch zum Ausdruck bringen, dass wir zutiefst betrübt sind über die Tatsache, dass wir diese Personen nicht retten konnten. Wir verurteilen diejenigen, die für ihren Tod verantwortlich sind und betonen, dass die Täter vor Gericht zur Rechenschaft gezogen werden sollten.“
Frühere Gefangene gesund übergeben
Türkdoğan erinnerte an frühere Fälle, bei denen entführte Personen durch die Vermittlung von Menschenrechtsorganisationen gesund übergeben worden sind. So seien im September 2015 zwanzig gefangene Zollbamte in Südkurdistan in Empfang genommen und in die Türkei gebracht worden.
Nicht freigelassene Soldaten und Polizisten
In anderen Fällen sei innerhalb von sechs Jahren keine Freilassung erreicht worden. In folgenden Fällen haben sich Angehörige laut Türkdoğan an den IHD gewandt:
„Der Polizeibeamte Vedat Kaya wurde am 24. Juli 2015 auf der Diyarbakır-Bingöl-Autobahn gefangen genommen.
Der Polizeibeamte Sedat Yabalak wurde am 28. Juli 2015 auf der Diyarbakır-Bingöl-Autobahn gefangen genommen.
Der Unteroffizier Hüseyin Sarı und die Gefreiten Sedat Sorgun und Süleyman Sungur wurden am 13. August 2015 auf der Diyarbakır-Lice-Autobahn gefangen genommen.
Der Unteroffizier Semih Özbey wurde am 18. September 2015 auf der Dersim-Erzincan-Autobahn gefangen genommen.
Die Gefreiten Müslüm Altuntaş und Adil Kavaklı wurden am 2. Oktober 2015 auf der Dersim-Pülümür-Autobahn gefangen genommen.
Die Oberfeldwebel Sedat Vardar und Ferdi Polat wurden am 12. Dezember 2015 im Stadtzentrum von Şırnak gefangen genommen.
Die Oberfeldwebel Ümit Gıcır und Mevlüt Kahveci wurden am 21. September 2016 in Hakkari gefangen genommen.
Die Ungewissheit über das Schicksal und den Verbleib von Sedat Vardar und Ferdi Polat setzte sich fort, während die Behörden die Familie von Ferdi Polat zwei Jahre nach seiner Gefangennahme darüber informierten, dass er kurz nach seiner Gefangennahme sein Leben verloren hatte. Das Schicksal und der Verbleib von Sedat Vardar sind nach wie vor unbekannt.“
Vermittlungsversuche gescheitert
Der IHD hat in den vergangenen Jahren zusammen mit anderen Menschenrechtsorganisationen zahlreiche Erklärungen mit den Angehörigen der Gefangenen abgegeben. Neben Pressekonferenzen mit den Familien fanden Gespräche mit Politiker*innen und Staatsbeamten statt. Die Familien haben sich an die Regierung gewandt, Vermittlungsversuche von Menschenrechtsorganisationen wurden von der Regierung ignoriert.
Anfang und Mitte 2016 wurden erstmalig Videobotschaften von gefangenen Soldaten und Polisten veröffentlicht, weitere Botschaften von acht Gefangenen folgten im Juni 2018, führte Türkdoğan aus: „Im April 2019 gingen bei unserem Verein Briefe von neun der gefangenen Soldaten und Polizisten ein, die an ihre Familien weitergeleitet wurden, und am 29. Mai 2019 wurde mit den Familien in der İHD-Zentrale erneut ein Aufruf zu ihrer Freilassung veröffentlicht. Einige der Familien nahmen ab 2020 an Sitzstreiks vor dem Provinzbüro der HDP in Diyarbakır teil und gaben Erklärungen für die Freilassung ihrer Söhne ab.
Nach dem letzten Aufruf wurden einige Initiativen ergriffen, die jedoch aufgrund der harten Sicherheitspolitik (z.B. der Staat reagiert nicht auf terroristische Organisationen) und der laufenden Militäroperationen nicht das gewünschte Ziel erreichen konnten, so dass alle unsere Versuche, die Freilassung der in Gefangenschaft befindlichen Personen zu erreichen, scheiterten.
Wir möchten besonders darauf hinweisen, dass die Gleichgültigkeit der regierungsfreundlichen Medien anhielt, was wiederum ein Hindernis darstellte, bevor sich eine starke öffentliche Meinung in dieser Angelegenheit bilden konnte.“
Verstoß gegen das Völkerrecht und Kriegsverbrechen
Bei den 13 in Gare getöteten Soldaten und Polizisten in PKK-Gefangenschaft habe es sich eindeutig um kampfunfähige Personen gehandelt, betonte Türkdoğan: „Es ist klar, dass die 13 Personen, die bei dem fraglichen Vorfall ihr Leben verloren haben, hors de combat waren, d. h. sie waren nicht an dem bewaffneten Konflikt beteiligt. Solche Handlungen verstoßen nicht nur gegen das humanitäre Völkerrecht, sondern sind auch als Kriegsverbrechen zu qualifizieren. Daher ist die Frage, ob hors de combat direkt betroffen waren oder nicht, in solchen Fällen von entscheidender Bedeutung. Darüber hinaus legt das Menschenrecht den Staaten im Rahmen von Militäroperationen, die sie durchführen, bestimmte Verantwortlichkeiten auf. Nach dem Menschenrechtsgesetz sind Staaten verpflichtet, Operationen zu vermeiden, die hors de combat gefährden würden, und die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um das Recht auf Leben dieser Personen zu garantieren.
Diese entscheidenden Punkte können nicht ohne eine effektive Untersuchung aufgedeckt werden. Sowohl das humanitäre Recht als auch die Menschenrechte verlangen, dass nach der Verletzung eine wirksame Untersuchung durch unabhängige und unparteiische Organe durchgeführt wird, um die Täter zu entlarven und gleichzeitig das Recht der Öffentlichkeit auf Wahrheit zu respektieren, insbesondere das der Familien und Angehörigen der Opfer, sofern dies die Untersuchung nicht stört. Der IHD hält es für ein Muss, alle daran zu erinnern, dass eine solche Verpflichtung nicht nur für die Familien und Angehörigen der verstorbenen Personen gilt, sondern auch ein obligatorischer Weg ist, der beschritten werden muss, um die Wiederholung ähnlicher Rechtsverletzungen zu verhindern.“
Lösung der kurdischen Frage mit demokratischen Mitteln
Türkdoğan forderte einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss und erklärte abschließend: „Es sollte daran erinnert werden, dass all diese groben Verletzungen des Rechts auf Leben die Folgen des andauernden bewaffneten Konflikts sind und leider nicht zu einem Ende kommen werden, solange die kurdische Frage nicht mit demokratischen Mitteln gelöst wird.“