Kinderleichen vor libyscher Küste – Keine Tragödie, sondern Verbrechen

An libyschen Küsten sind die Leichen von mehreren ertrunkenen Kleinkindern angespült worden. Bei den Kindern handelt es sich um Schutzsuchende, die beim Versuch der Überfahrt nach Europa gestorben sind.

An libyschen Küsten wurden die Leichen von mehreren ertrunkenen Kleinkindern angespült. Bei den Kindern handelt es sich um Schutzsuchende, die beim Versuch der Überfahrt nach Europa gestorben sind.

Die Leichen von Kleinkindern und Babys, die in den vergangenen Tagen an libyschen Küsten angespült wurden, zeigen die Brutalität des europäischen Grenzregimes in unmissverständlicher Deutlichkeit.

„Ich stehe immer noch unter Schock angesichts des Horrors dieser Bilder", schrieb Oscar Camps, Gründer von Proactiva Open Arms, auf Twitter. „Diese kleinen Kinder und Frauen hatten Träume und Lebensziele.“

Nancy Porsia, eine italienische Journalistin und Libyen-Expertin, berichtet, dass die Leichen am Samstag an einem Strand in Zuwara entdeckt wurden. Sie wurden vom libyschen Militär eingesammelt und auf dem Friedhof im nahe gelegenen Abu Qamash begraben. Die Bilder rufen Erinnerungen an Alan Kurdî – das Kleinkind aus Kobanê, das vor der türkischen Küste ertrank – wach. Das Bild des toten Dreijährigen rüttelte 2015 viele Menschen angesichts der verzweifelten Lage der Schutzsuchenden vor den Grenzen der EU wach.

Ein Sprecher der UN-Migrationsbehörde in Italien sagte, es sei nicht klar, wann die Opfer von Libyen aus aufgebrochen seien und was mit ihrem Schiff passiert sei. „Das sind dramatische Bilder“, sagte Flavio Di Giacomo gegenüber dem Guardian. „Wir versuchen, mit unseren Kollegen in Libyen der Sache auf den Grund zu gehen. Es gibt viele Schiffswracks, die nie aufgezeichnet werden. Wir können nicht ausschließen, dass es eines davon sein könnte.“

Letzte Woche berichteten die tunesischen Behörden, dass Dutzende von Menschen bei einer Havarie vor der tunesischen Küste ums Leben kamen. Am 22. April starben mehr als 130 Menschen, als ihr Gummiboot in stürmischer See vor der Küste Libyens kenterte.

Nach Angaben der UN-Migrationsbehörde sind in diesem Jahr etwa 630 Menschen bei dem Versuch, Europa zu erreichen, im zentralen Mittelmeer gestorben.

Draghi: Bilder sind nicht „akzeptabel“

Der italienische Premierminister Mario Draghi sagte: „Bilder von Leichen von Babys und Kleinkindern, die an einem Strand in Libyen angespült wurden, sind inakzeptabel.“ Damit legte Draghi unwillentlich den Zynismus der EU-Grenzpolitik offen. Nicht die Leichen von Babys, sondern die Bilder sind offensichtlich inakzeptabel. Draghi weiß selbst, dass das Sterben von Menschen jeden Alters die Konsequenz aus der Einstellung der staatlichen Rettungsoperationen auf dem Mittelmeer, der Behinderung der zivilen Seenotrettung und letztendlich der Verweigerung sicherer Wege nach Europa ist.

Keine „Tragödie“, sondern Verbrechen

In den Medien werden Ereignisse wie dieses immer wieder als „Drama“ oder „Tragödie“ abgehandelt. So als wäre es die Hand des Schicksals oder der Götter, die wie in der antiken Tragödie die Protagonisten ins Unglück stürzen. So etwas zu implizieren, ist jedoch einfach nur verharmlosend. Denn im Gegensatz zur Tragödie spielt hier nicht das Schicksal oder göttlicher Wille Richter, sondern es handelt sich um eine brutale und gezielte Abschottungspolitik, welche diese Toten in Kauf nimmt, aber nicht bereit ist, deren Bilder zu „ertragen“. Es handelt sich nicht um eine Tragödie, sondern um ein Verbrechen.