IHD startet „Mahnwachen für den Frieden“

Mit „Mahnwachen für den Frieden“ will der Menschenrechtsverein IHD das drängendste politische Problem in der Türkei aufzeigen: Die kurdische Frage. Solange diese ungelöst bleibt, komme das Land nirgendwohin, nur in den Krieg.

„Wir verteidigen das Recht auf Frieden, wir brauchen Frieden, wir halten Wache für den Frieden“ – unter diesem Leitspruch fiel im Menschenrechtsverein IHD in Ankara am Freitag der Startschuss für die „Mahnwachen für den Frieden“. Den Anstoß dieser Initiative gab die bis heute ungelöste kurdische Frage, sagte der IHD-Vorsitzende Öztürk Türkdoğan. Unter den Beteiligten der ersten Friedenswache waren neben Handelnden des IHD sowie der Zivilgesellschaft auch Vertreterinnen und Vertreter politischer Parteien wie der HDP und der EMEP.

„Die kurdische Frage gilt als wichtigstes politisches Problem des Landes, dessen Klärung unumgänglich ist“, erklärte Türkdoğan. Daran müsse die Politik erinnert werden. Die gegenwärtige Situation zeichne sich durch friedensfeindliche Gesinnungen aus, so komme die Türkei nirgendwohin, nur in den Krieg. „Dem Land droht gesellschaftlicher Zerfall. Die Wirtschaftskrise vertieft sich bedrohlich und auch in allen anderen Bereichen durchleben wir eine schwierige Zeit. Dabei wissen wir, dass die kurdische Frage und der Kampf des kurdischen Volkes um Selbstbestimmung die Funktion eines Schlüsselelements für die demokratische Neugestaltung und Stabilisierung der Türkei innehaben“, so der IHD-Chef.

Öztürk Türkdoğan (vordere Reihe, fünfter von rechts) und andere Beteiligte der Friedenswache


Krieg dominiert den Alltag

Daher dürfe es nicht sein, dass der Krieg den Alltag dominiert und junge Menschen noch immer an der Waffe sterben, sagte Türkdoğan. Es brauche den Beginn eines neuen Friedensprozesses in der Türkei, um eine Demokratisierung des Landes voranzubringen und Probleme zu lösen. Dies könne aber wohl kaum ohne die HDP gelingen, meint der Menschenrechtler. Die HDP ist die drittgrößte Partei im türkischen Parlament und wird von der Regierung Recep Tayyip Erdoğans seit Jahren konsequent kriminalisiert. Tausende Mitglieder wurden als vermeintliche „Terroristen“ verhaftet, darunter auch die ehemaligen Ko-Vorsitzenden Figen Yüksekdağ und Selahattin Demirtaş. Dutzende Stadtoberhäupter im mehrheitlich kurdischen Südosten wurden ihrer Ämter enthoben, an ihrer Stelle regieren von Ankara ernannte Zwangsverwalter in den Rathäusern. Seit 2021 ist ein Verbotsverfahren gegen die HDP anhängig, der bislang schwerste Schlag der Erdoğan-Führung gegen die HDP.

Polarisierung und Ausgrenzung sowie Dämonisierung der HDP

„In einer offenen und freiheitlichen Gesellschaft gehören Meinungsstreit und Interessenkonflikte zu den normalen und gängigen Verfahren der politischen Verständigung und der Entscheidungsfindung. Streiten ist wichtig, gutes Streiten aber schwer. Gute Streitkultur ist immens wichtig. Polarisierung oder die Ausgrenzung und Dämonisierung der HDP als Kontrahentin sind daher nicht nur kontraproduktiv, sondern hinderlich bei der Suche nach Antworten auf die großen Herausforderungen dieses Landes. Und die Lösung für alles ist eben der Frieden. Diese Tatsache muss von allen begriffen werden. In freundlichem Respekt vor der Meinung und der Persönlichkeit des anderen und gerade auch des Andersdenkenden ist der Schlüssel hin zu einer Atmosphäre, offen über Probleme zu sprechen. Man sollte Zeit und Bemühungen in die HDP investieren, statt sie an den Pranger zu stellen. Ohne die Parteien, die sich für die Belange der kurdischen Gesellschaft einsetzen, lassen sich die Konflikte und Krisen im Land nicht lösen“, sagte Türkdoğan. Frieden schließe man schließlich nicht mit seinen Freunden, sondern mit seinen Feinden.

Totalisolation von Öcalan beenden

Deshalb sei es auch unumgänglich, die Totalisolation von Abdullah Öcalan und seinen Mitgefangenen auf der Gefängnisinsel Imrali aufzuheben und auch alle kranken Inhaftierten zu entlassen. Außerdem müssten die Verbotsdrohungen gegen politische Parteien in die Vergangenheit verbannt werden, fordert Öztürk Türkdoğan: „Die Türkei braucht einen echten Lösungsprozess und die damit einhergehende Phase des Konfliktabbaus. Niemand darf diskriminiert werden. Wir sehnen uns nach einer Atmosphäre, in der jeder Mensch seine Gedanken frei äußern kann. Frieden ist Menschenrecht, das es gilt, überall auf der Welt zu fordern und zu schützen. Da kann es nichts Natürlicheres geben, als ihn in der Türkei zu verteidigen.“

Izmir beginnt ebenfalls Friedenswache

Die Friedenswachen sollen jeden Freitag in den Zweigstellen des IHD initiiert werden, teilte die Organisation mit. Mit Ankara startete am Freitag auch der Standort in der Ägäis-Provinz Izmir. Dort beteiligt sich unter anderem der frühere Kampfpilot Bahadır Altan, der heute zu den führenden Mitgliedern der Friedensbewegung in der Türkei gehört, an der Initiative. Andere Städte sollen folgen.