Seit Monaten führen die Angehörigen von kranken politischen Gefangenen aus dem kurdischen Teil des Landes eine „Gerechtigkeitswache“ durch, um auf die unmenschlichen und erniedrigenden Zustände in türkischen Haftanstalten hinzuweisen. Das Ziel der Initiative ist es, einen Aufschrei innerhalb der Öffentlichkeit zu bewirken und die gesamte Zivilgesellschaft zum Handeln für die Gefangenen zu bewegen – auch im Westen des Landes. In Sorge um das Leben ihrer inhaftierten Angehörigen fordern die Menschen die Einhaltung rechtlicher Standards.
Denn die Bedingungen in den Haftanstalten in der Türkei werden immer dramatischer. Insbesondere für inhaftierte Kranke sind diese Umstände tödlich. In den letzten Wochen sind mindestens sieben Todesfälle in Gefängnissen bekannt geworden. Zwei der Gefangenen litten an schweren Krebsleiden. Menschenrechtsorganisationen kritisieren, dass sich der politische Umgang mit ihnen nach Feindstrafrecht richtet. Der Staat setze geradezu auf Tote, um den Widerstand gegen die entwürdigenden Zustände in den Gefängnissen zu brechen. Dagegen setzt sich die „Gerechtigkeitswache“ von Familienmitgliedern der politischen Gefangenen ein. Bevor es zu weiteren Toten komme, müsse der Staat den Gefangenen ihre Rechte zurückgeben, fordert sie.
Um dieser Forderung etwas mehr Nachdruck zu verleihen, sind Beteiligte der seit Mitte November in den Räumlichkeiten der Anwaltskammer von Amed (tr. Diyarbakir) durchgeführten „Gerechtigkeitswache“ am Montagnachmittag Richtung Ankara aufgebrochen. Auch Angehörige politischer Gefangener aus den Provinzen Mêrdîn, Şirnex, Sêrt, Riha (Urfa) und Êlih (Batman) befinden sich auf dem Weg in die türkische Hauptstadt. Ziel der Reise ist die türkische Nationalversammlung. Für Dienstag wird eine Teilnahme der Angehörigen an der Gruppensitzung der HDP-Fraktion erwartet. Gemeinsam mit Abgeordneten der Partei soll die Situation in den türkischen Gefängnissen im Parlament thematisiert werden.
Mehr als 1.600 kranke Gefangene
Die Türkei hat europaweit die höchste Gefangenenrate. Nach Angaben des Justizministeriums gelten derzeit mehr als 295.000 Menschen als Gefangene, einschließlich 38.800 Untersuchungshäftlinge und einige Zehntausend, die im Zuge der Corona-Pandemie teilweise „amnestiert“ und in den Hausarrest geschickt wurden. Unter den Inhaftierten gelten nach Angaben des Menschenrechtsvereins IHD mindestens 1.605 als krank, in 604 Fällen sei die Gesundheitslage sogar lebensbedrohlich. Bei diesen handelt es sich in der Regel um Gewissensgefangene, also solche, die aus politischen Motiven inhaftiert worden sind. Trotz ihrer dramatischen gesundheitlichen Verfassung werden sie von der Justiz nicht freigelassen.