Freilassung von schwer krankem Gefangenen wiederholt abgelehnt

Der schwer kranke politische Gefangene Vefa Kartal verstarb am 30. Mai in Haft. Die Familie hatte seit Beginn der Corona-Pandemie 23 Mal vergeblich seine Freilassung beantragt.

Binnen weniger Tage sind bereits zwei schwer kranke politische Gefangene verstorben. Ärzt*innen und Angehörige hatten ihre dringende Freilassung gefordert, aber die türkische Justiz hielt an ihrer Inhaftierung fest. Seit der vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie durchs Parlament gebrachten Vollzugsreform wurden 90.000 Gefangene, unter ihnen Mafia-Paten und bekennende Faschisten, freigelassen. Politische Gefangene sind von der Entlassung ausgenommen. Das trifft insbesondere die kranken Gefangenen schwer. Am 30. Mai 2020 verstarb der politische Gefangene Vefa Kartal nach 24 Jahren Haft. Er litt an Herzrhythmusstörungen, Hirntumoren, Bluthochdruck, Hepatitis B, Magengeschwüren und verschiedenen anderen chronischen Krankheiten. ANF konnte mit seiner Familie sprechen.

Er wurde sehenden Auges in den Tod geschickt“

Die Familie von Kartal übernahm seinen Leichnam am Trakya-Universitätsklinikum, um sie nach Manisa zur Beisetzung zu überführen. Die Familie klagt an, man habe Vefa Kartal sehenden Auges in den Tod geschickt. Sie berichtet von seinen während der Haft immer schlimmer werdenden Krankheiten. Die Familie hatte seit Beginn der Corona-Pandemie 23 Mal versucht, seine Entlassung beim Justizministerium zu erwirken, wurde aber immer ignoriert.

Bruder: „Staat hat Rache an ihm genommen“

Bereits 2018 war Kartal 96 Tage gegen die Verweigerung einer Behandlung seiner Krankheiten in den Hungerstreik getreten. Er wurde in Folge des Hungerstreiks nach Edirne in ein F-Typ-Gefängnis mit noch schlechteren Bedingung verlegt. Die Familie berichtet, sie habe ihn wegen der Pandemie seit März nicht mehr besuchen können. Der Bruder Umut Kartal sagt gegenüber Yeni Yaşam: „Der Staat hat Rache an meinem Bruder für seinen 96-tägigen Hungerstreik genommen.“

IHD: „Wir sprechen nicht vom Tod durch Krankheit, wir sprechen von Mord“

Die Vorsitzende des Büros des Menschenrechtsvereins IHD in Istanbul, Gülseren Yoleri, kommentierte den Tod Kartals: „Die Gefangenen werden, auch wenn sie krank sind, nicht in Krankenhäuser gebracht. Wenn es um Notfälle geht, dann werden sie ohne die notwendige Behandlung wieder zurückgeschickt. Daher ist es möglich zu sagen, dass man sie sterben lässt. Erinnern wir uns an Sabri Kaya. Er starb am 21. Mai. Die Gerichtsmedizin bescheinigt selbst 80-jährigen, schwer kranken Gefangenen die Haftfähigkeit. Das was hier geschieht, ist Feindrecht. Wir sprechen nicht davon, dass kranke Gefangene an ihren Krankheiten sterben – wir sprechen von Mord.“

Nach Angaben des IHD befinden sich 1330 kranke Gefangene in türkischen Haftanstalten, bei 457 ist die Situation kritisch.