Gefängniswiderstand gegen Isolation
Seit 37 Monaten gibt es kein Lebenszeichen mehr von dem auf der Gefängnisinsel Imrali isolierten kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan. Seit dem 10. Oktober 2023 findet eine weltweite politische Kampagne unter dem Motto „Freiheit für Abdullah Öcalan und eine politische Lösung der kurdischen Frage“ statt. Die Gefangenen aus der PKK und PAJK schlossen sich dem Widerstand am 27. November mit einem Hungerstreik an. Seit dem 4. April führen sie den Widerstand mit einem Kommunikationsboykott weiter. Die Gefangenen fordern die Aufhebung der Isolation und schließlich die physische Freiheit des kurdischen Vordenkers. Die Nachrichtenagentur Mezopotamya sprach mit Menschenrechtler:innen und Jurist:innen in der nordkurdischen Stadt Riha (tr. Urfa).
„Die Gefangenen erinnern den Staat an seine Pflicht“
Ahmet Taş vom Menschenrechtszentrum der Anwaltskammer in Riha erklärte, die Forderungen der Gefangenen seien legitim. Taş führte aus: „Die Hauptaufgabe des Staates besteht darin, die Lebensbedingungen der Gefangenen mit den Menschenrechten in Einklang zu bringen. Die staatlichen Institutionen sollten so schnell wie möglich Maßnahmen ergreifen, um die Forderungen der Gefangenen zu erfüllen. Aber da der Staat sich dieser Verantwortung entzieht, werden die Rechte der Gefangenen weiterhin verletzt. Die Forderungen der Gefangenen sind legitim. Es gibt kein rechtliches Hindernis für den Staat, diese Forderungen auszuschlagen, aber der Staat akzeptiert sie aus politischen Gründen nicht. Der Kontakt von Abdullah Öcalan mit seiner Familie und seinen Anwälten ist ein Grundrecht, und die Verhinderung dieses Rechts ist illegal. Die Gefangenen mussten zu einer solchen Aktion greifen, um dieses Grundrecht einzufordern. In einem Umfeld, in dem das Gesetz angewandt wird, wäre eine solche Aktion nicht nötig. Die Gefangenen versuchen mit diesen Aktionen, den Staat auf die Linie des Gesetzes zu bringen.“
Ahmet Taş vom Menschenrechtszentrum der Anwaltskammer in Riha
„Warnung an die ganze Gesellschaft“
Taş wies darauf hin, dass die Isolation auf Imrali sowohl gegen nationales Recht als auch gegen das Völkerrecht verstoße, und führte aus: „Viele Grundrechte werden verletzt. Die wichtigsten davon sind das Recht auf Kommunikation, ein faires Verfahren und das Recht auf freie Meinungsäußerung. Mit der anhaltenden Isolation von Abdullah Öcalan wird der Rechtsbruch zum Gesetz. Wenn das nicht verhindert wird, wird dies den Weg für weiteres Unrecht ebnen. Um diesem Unrecht ein Ende zu setzen, müssen Anwaltskammern, Menschenrechtsorganisationen und zivilgesellschaftliche Organisationen aktiv werden und dafür sorgen, dass die Forderungen der Gefangenen akzeptiert werden und die Isolation beendet wird. Wenn dies nicht geschieht, wird dieser Rechtsbruch morgen auf die gesamte Opposition zurückfallen. Daher ist ein ernsthafter Protest gegen die Isolation erforderlich.“
„Die Forderungen sind rechtmäßig“
Mustafa Vefa vom Menschenrechtsverein IHD in Riha erklärte, dass es nichts Vergleichbares mit der Isolation auf Imrali gebe. Die Isolation stehe stellvertretend für die Haltung des türkischen Staates gegenüber der kurdischen Frage. Er sagte: „1999 wurden Sondergesetze extra für Abdullah Öcalan erlassen. Die Isolation von Abdullah Öcalan auf der Insel Imralı ist beispiellos. Deshalb gibt es auch gesellschaftlichen Protest dagegen. Denn der Ansprechpartner für die kurdische Frage ist Abdullah Öcalan. Der Umgang des Staates mit ihm offenbart auch seinen Umgang mit der kurdischen Frage. Aus diesem Grund mussten die Gefangenen eine solche Aktion zur Lösung der kurdischen Frage und zur Beendigung der Isolation, die sich auf alle Bereiche ausgedehnt hat, beginnen. Diese Aktionsform ist demokratisch und gerechtfertigt. Die Forderungen sind legal. Die Gefangenen fordern mit ihren Protesten nichts als die Umsetzung von Gesetzen.“
Mustafa Vefa vom Menschenrechtsverein IHD in Riha
„Sanktionen gegen die Türkei notwendig“
Vefa erklärte weiter: „Mit diesen Protesten werden auch die Ängste der Familien zunehmen. Denn es gibt viele kranke Gefangene, und wenn ihre Familien nichts von ihnen hören, wird dies Anlass zu großer Sorge sein. Ebenso wird das Nichterscheinen der Gefangenen vor Gericht dazu führen, dass sich die Prozesse in die Länge ziehen. Wenn man all dies zusammen betrachtet, gibt es einerseits einen sozialen Widerstand, mit dem versucht wird, den Staat mit dem Gesetz in Einklang zu bringen, andererseits gibt es einen Staat, der sein eigenes Gesetz nicht umsetzt. Die Forderungen der Gefangenen müssen ohne Verzögerung akzeptiert werden, die Isolation muss beendet und die kurdische Frage muss mit demokratischen Mitteln gelöst werden. Die Isolation auf Imrali geht alle an, nicht nur die Kurdinnen und Kurden. Sie betrifft auch die Oppositionsparteien. Wenn diese Rechtswidrigkeit nicht beseitigt wird, wird sie alle treffen. Um der Isolation ein Ende zu setzen, sollten die juristischen Organisationen so schnell wie möglich wirksam gegen sie vorgehen. Ebenso sollten die Europäische Union und die Vereinten Nationen Sanktionen gegen die Türkei verhängen, denn die Türkei verstößt gegen die Konventionen, denen sie beigetreten ist. Die demokratische Öffentlichkeit muss die Forderungen der Gefangenen verbreiten und ebenfalls juristische Schritte einleiten, um die Türkei zurück auf den Boden der Legalität zu bringen.“
„Dieses Unrecht geht uns alle an“
Ayşe Şehriban Demirel aus dem Vorstand der Juristenvereinigung ÖHD
Ayşe Şehriban Demirel aus dem Vorstand der Zentrale der Juristenvereinigung ÖHD erklärte: „Die Gefangenen haben ihren Hungerstreik in eine neue Phase des Protests überführt. Wir haben mit unseren Besuchen in den Gefängnissen begonnen, um die Rechtsverletzungen zu ermitteln, denen die Gefangenen ausgesetzt sind, und um ihre Forderungen auf die Tagesordnung zu setzen. Die Isolation wird derzeit in allen Gefängnissen praktiziert. Die Disziplinarstrafen, die gegen Gefangene verhängt werden, weil sie die Einhaltung des Rechts fordern, sind eine Fortsetzung der Isolation. Damit die Aktionen beendet werden können, muss der Staat diese legalen Forderungen erfüllen. Der Gegenstand der Forderungen der Gefangenen ist nicht nur ihr Problem, sondern eine Frage, welche die gesamte Öffentlichkeit angeht. Die demokratische Öffentlichkeit sollte für diese Forderungen sensibilisiert werden und sie auf die Tagesordnung setzen. Juristische Organisationen, die Öffentlichkeit und Nichtregierungsorganisationen müssen dagegen vorgehen. Dieser Rechtsbruch ist ein Problem für uns alle. Dagegen sollten juristische Initiativen, Aktionen und Aktivitäten stattfinden.“