Dutzende Festnahmen bei Aktion von Istanbuler Samstagsmüttern

Die Istanbuler Samstagsmütter sind erneut von der Polizei angegriffen worden, 24 Personen wurden festgenommen. Unter ihnen befinden sich zahlreiche Angehörige von Verschwundenen.

Die türkische Polizei hat abermals eine Mahnwache der Samstagsmütter auf dem Galatasaray-Platz in der Istanbuler Innenstadt gewaltsam unterbunden. Die Initiative wollte zum 968. Mal seit ihrer Gründung im Jahr 1995 auf dem belebten Platz an der Einkaufsmeile Istiklal Caddesi eine Erklärung zum „Verschwindenlassen“ in staatlichem Gewahrsam abgeben und eine Bestrafung der Täter fordern. Wie schon in den Wochen zuvor, wurde das Sit-in auf Grundlage eines auf Betreiben des Innenministeriums durch das örtliche Landratsamt erteilte Versammlungsverbot verhindert.

Als sich die Gruppe dem durch Barrieren und Gitter abgesperrten Platz vor dem Galatasaray-Gymnasium dennoch näherte, wurde sie umgehend von Anti-Aufruhr-Einheiten der Polizei eingekreist. Unter ihnen befand sich auch der ehemalige HDP-Abgeordnete Musa Piroğlu, der seit einem Arbeitsunfall auf dem Bau auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Der Politiker wurde allerdings in einen gesonderten Kessel genommen. Mit taktischen Einsatzschilden drückten die Beamten die übrigen Gekesselten dicht zusammen. Medienschaffende, die das Geschehen beobachteten, wurden bei der Dokumentation des Polizeieinsatzes behindert und gewaltsam vom Platz gedrängt.

Die Rechtsanwältin Eren Keskin, die auch Ko-Vorsitzende des Menschenrechtsvereins IHD ist, kritisierte das Vorgehen der Polizei. Außerdem monierte sie, dass sich die Sicherheitsbehörden mit ihrem Verbot der Mahnwache der Samstagsmütter über ein Urteil des Verfassungsgerichts hinwegsetzen würden. Das höchste Gericht der Türkei hatte im Februar festgestellt, dass die seit 2018 angeordneten Demonstrationsverbote gegen die Initiative rechtswidrig sind, und Einwände des Innenministeriums verworfen, das die Einschränkungen der Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit mit einer angeblichen Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch die Samstagsmütter begründet. Seit April finden die Mahnwachen der Gruppe deshalb wieder auf der Istiklal Caddesi statt in einer kleinen Nebenstraße vor der Zweigstelle des IHD statt. Die Polizei ignoriert das Urteil des Verfassungsgerichts und löst den Protest Woche für Woche auf.


Die Menschenrechtsaktivistin Maside Ocak Kışlakçı, die mit der Verfassungsbeschwerde zugunsten der Samstagsmütter Erfolg hatte, erklärte im Polizeikessel: „Entscheidungen des höchsten Gerichts der Türkei sind für alle Organe der Legislative, Exekutive und Judikative bindend, Nichteinhaltungen von verfassungsrechtlichen Bestimmungen stellen einen schwerwiegenden Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit und die diesem Grundsatz zugrunde liegende Verfassungsordnung dar. Doch seit einem halben Jahr müssen wir immer wieder feststellen, dass sich die Sicherheitsbehörden dieses Landes über das Grundgesetz hinwegsetzen und Entscheidungen des Verfassungsgerichts für nichtig erklären. Das ist ein Bild der Schande.”

24 Festnahmen und Anzeigen wegen Verstoß gegen Behördenauflagen

Mindestens 24 Mitglieder und Unterstützende der Samstagsmütter führte die Polizei ab und brachte sie auf ein nahegelegenes Revier. Unter ihnen befinden sich auch die 71-jährige Hanife Yıldız, deren Sohn Murat 1995 im Alter von neunzehn Jahren in Izmir in Polizeihaft verschwunden ist, und der 72 Jahre alte Mikail Kırbayır, dessen Bruder Cemil 1980 von der Militärjunta zu Tode gefoltert wurde. Bei den weiteren Festgenommenen handelt es sich um Besna Tosun, Ali Newroz Tosun, Hasan Karakoç, Ali Ocak, Oya Ersoy, Gülseren Yoleri, Eren Keskin, Leman Yurtsever, Hünkar Yurtsever, Doğan Özkan, Ayşegül Devecioğlu, İsmail Yücel, Aydın Aydoğan, Hatice Onaran, Gülendam Özdemir, Salim Derelioğlu, Cüneyt Yılmaz, Nazım Dikbaş, Mustafa Emin Büyükcoşkun, Sevim Sancaktar und Sevilay Aydemir. Sie alle erwartet nun eine Anzeige wegen vermeintlichem Verstoß gegen Behördenauflagen.