Die Istanbuler Initiative der Samstagsmütter hat anlässlich ihrer 965. Mahnwache gegen das Verschwindenlassen in staatlichem Gewahrsam rote Nelken am Galatasaray-Platz abgelegt und ein Ende der Belagerung des für sie symbolträchtigen Ortes gefordert. Die Polizei, die den Platz am Rande der Einkaufsmeile Istiklal hermetisch abgeriegelt hatte, kesselte die Gruppe ein und führte Festnahmen durch.
Es ist ein wiederkehrendes Bild: Kaum nähern sich Mitglieder und Unterstützende der Samstagsmütter dem Galatasaray-Platz, werden sie auch schon von der Polizei umstellt. Die dabei seit Monaten herangezogene Begründung lautet auf vermeintlichen Verstoß gegen ein behördlich angeordnetes Versammlungsverbot. Dies aber steht im Widerspruch zu einem Urteil des Verfassungsgerichts vom Februar, das solche Verbote für die Samstagsmütter für rechtswidrig erklärt hatte. Doch dem Innenministerium unterstehende Behörden setzen sich über das Urteil des höchsten türkischen Gerichts in unzulässiger Weise hinweg.
Mindestens 25 Personen nahm die Polizei bei der heutigen Mahnwache der Samstagsmütter fest. Zuvor zogen Beteiligte und solidarische Menschen, unter denen sich auch die frühere Journalistin und jetzige YSP-Abgeordnete Ayşegül Doğan und der TIP-Politiker Ahmet Şık befanden, von verschiedenen Startpunkten im zentralen Stadtteil Beyoğlu über die Istiklal bis vor den Galatasaray-Platz. Den Aktivistinnen Maside Ocak Kışlakçı und Besna Tosun sowie weiteren „Samstags-Menschen“ gelang es, rote Nelken, die als Widerstandssymbol gelten, auf den abgesperrten Platz zu werfen.
Bei den Festgenommenen handelt es sich größtenteils um Angehörige von Vermissten oder Verschwundengelassenen. Auch Menschenrechtler:innen sind unter ihnen. Ihre Namen lauten: Ali Newroz Tosun, Ali Ocak, Aslı Takanay, Begali Kurnaz, Besna Tosun, Coşkun Üsterci, Davut Arslan, Deniz Aytaç, Doğan Özkan, Eren Keskin, Hanife Yıldız, Hasan Karakoç, Hatice Korkmaz, İkbal Eren, İrfan Bilgin, İsmail Yücel, Leman Yurtsever, Maside Ocak Kışlakçı, Mikail Kırbayır, Nazım Hikmet Dikbaş, Ömer Kavran, Salim Derelioğlu, Taylan Bekin, Türker Demirci und Ümit Efe.
Synonym für das Schicksal der Opfer des „Verschwindenlassens”
1995 gingen Frauen in Istanbul zum ersten Mal auf die Straße, um analog zu den argentinischen „Madres de la Plaza de Mayo” auf festgenommene und dann verschwundene Verwandte in den 1980er und 1990er Jahren aufmerksam zu machen. Zwischen 1999 und 2009 mussten die Samstagsmütter ihre wöchentlichen Mahnwachen aussetzen, da die Polizei die Versammlungen regelmäßig auflöste. Seit einem vom Innenministerium angeordneten Großangriff auf die Samstagsmütter im Sommer 2018 ist der Galatasaray-Platz für die Initiative eine Sperrzone.