Isolation als System – neue Gefängnistypen verschärfen Lage
Der Ko-Sprecher der Gefängniskommission des Menschenrechtsvereins IHD, Rechtsanwalt Yusuf Erdoğan, hat erneut auf die dramatische Situation kranker politischer Gefangener in der Türkei hingewiesen. In einem Interview mit ANF betonte er, dass viele Gefangene trotz ärztlicher Gutachten, die ihre Haftunfähigkeit bestätigen, weiterhin unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten werden. „Diese Praxis kommt einer bewussten Auslieferung an den Tod gleich“, so Erdoğan. „Die Lösung dieser Problematik darf nicht länger aufgeschoben werden.“
Ungeeignete Haftbedingungen – physisch und psychisch belastend
Erdoğan kritisierte insbesondere die baulichen und organisatorischen Strukturen der neuen Hochsicherheitsgefängnisse in der Türkei. „Die physische und psychische Beschaffenheit dieser Einrichtungen ist für kranke Gefangene völlig ungeeignet. Besonders die F-Typ-Haftanstalten haben ein System hervorgebracht, das Isolation fördert und gesundheitliche Schäden verursacht“, erklärte er. Enge Zellen, mangelnde Bewegungsmöglichkeiten und fehlender sozialer Kontakt führten zu ernsthaften physischen und psychischen Belastungen.
Isolation als System – neue Gefängnistypen verschärfen Lage
Die neu errichteten S- und Y-Typ-Gefängnisse basieren laut Erdoğan auf einem Isolationsprinzip, das Gefangene vollständig voneinander abschottet. „Diese Form der Isolation hat gravierende Folgen: Die Betroffenen leiden unter Angstzuständen, Depressionen und einem tiefen Gefühl der Unsicherheit“, warnte er. Darüber hinaus berichtete Erdoğan von wiederholten Vorfällen von Misshandlung und Folter, die in Berichten des IHD und anderer Organisationen dokumentiert seien.
Zugang zur medizinischen Versorgung stark eingeschränkt
Ein zentrales Problem sei zudem der erschwerte Zugang zu medizinischer Versorgung. Der Weg vom Krankenzimmer ins Krankenhaus sei voller bürokratischer Hürden, oft verbunden mit erniedrigenden Durchsuchungen und Transportverzögerungen. Auch eine ausgewogene Ernährung sei in vielen Gefängnissen nicht gewährleistet, was den Gesundheitszustand der Betroffenen zusätzlich verschlechtere.
Rehabilitationsgefängnisse nur Scheinlösung
Zu den sogenannten R-Typ-Gefängnissen, die als Rehabilitationszentren für kranke Gefangene angepriesen werden, äußerte sich Erdoğan kritisch: „Unsere Besuche in diesen Einrichtungen zeigen, dass sie keineswegs den Bedürfnissen kranker Menschen gerecht werden. Die medizinische Versorgung ist unzureichend, viele Beschwerden der Gefangenen werden ignoriert.“ Der IHD habe hierzu mehrere Berichte veröffentlicht, die deutliche Mängel aufzeigten.
Zweifel an der Neutralität der Gerichtsmedizin
Ein weiteres Hindernis stelle das Institut für Rechtsmedizin (ATK) dar, das regelmäßig die Entlassung auch schwerkranker Gefangener blockiere. „Selbst wenn staatliche Krankenhäuser bescheinigen, dass ein Gefangener haftunfähig ist, stellt das ATK oft gegenteilige Gutachten aus“, so Erdoğan. „Dies führt regelmäßig zum Tod in Haft.“ Zudem sei das ATK als Einrichtung des Justizministeriums nicht unabhängig und unterliege politischem Einfluss.
Juristische Hürden durch Gesetz 5275
Auch das Strafvollzugsgesetz Nr. 5275, das den judikativen Strafvollzug in der Türkei regelt, trage zur Problematik bei. Selbst bei positivem Gutachten könnten Staatsanwaltschaft oder Polizei die Entlassung mit dem Verweis auf „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“ blockieren. Erdoğan sieht darin eine politische Willkür: „Kranke Gefangene werden als Faustpfand oder zur Abschreckung benutzt – das ist mit einem Rechtsstaat unvereinbar.“
Appell: Politischer Wille gefragt
Abschließend forderte Yusuf Erdoğan eine konsequente Entpolitisierung der Diskussion um kranke Gefangene: „Die gesundheitliche Versorgung und Freilassung dieser Menschen darf kein Verhandlungsthema sein – weder in Friedensprozessen noch in anderen politischen Konstellationen. Die Lösung dieser Frage ist überfällig und muss jetzt erfolgen.“