Das Sterbenlassen im Mittelmeer nimmt immer dramatischere Ausmaße an. Vor der tunesischen Insel Kerkenna sank am Wochenende ein Boot, das mit Schutzsuchenden besetzt auf dem Weg nach Europa war. Nach Angaben der tunesischen Behörden wurden bisher vier Leichen geborgen, 51 Menschen werden vermisst. Das Boot befand sich auf dem Weg nach Italien, wo die Menschen Sicherheit vor Krieg, Hunger und Armut suchten, vor allem aus Ländern südlich der Sahara, wie von den tunesischen Behörden berichtet.
Weiteres Boot aus Tunesien gesunken – bis zu 32 Tote
Am Wochenende sank ebenfalls ein Boot mit Migrant:innen vor der italienischen Insel Lampedusa. 57 Personen konnten gerettet werden, 30 Personen werden in der rauen See vermisst. Bei den beiden geborgenen Leichen handelt es sich um eine Frau und ein Kind. Auch dieses Schiff war höchstwahrscheinlich von Tunesien aus gestartet.
901 Leichen bis Juli in Tunesien geborgen
Zwischen dem 1. Januar und dem 20. Juli dieses Jahres wurden nach Angaben des tunesischen Innenministeriums 901 Ertrunkene geborgen. Erst am 6. August wurden die Leichen von zehn Migrant:innen an der Küste vor Sfax angespült.
Zahlen steigen rapide
Die Zahlen der Menschen, die auf der zentralen Mittelmeerroute sterben, steigen rapide an. Während im ganzen Jahr 2022 von der UN-Migrationsorganisation IOM 1401 Tote und Vermisste gemeldet wurden, liegt die Zahl für 2023 bereits jetzt bei 1815, ohne die aktuellen Todesfälle mit einzubeziehen. In diesem Jahr wurden bereits 63 Kinder unter den geborgenen Toten gefunden.
Wüste wird zu neuem Massengrab
Die Opferzahlen vor der tunesischen Küste schießen damit in die Höhe. Die Destabilisierung mehrerer afrikanischer Staaten, zusammenhängende Dürren und Plagen sowie das Leerfischen der afrikanischen Küstengewässer durch internationale Konzerne tragen dazu bei, dass sich immer mehr Menschen auf den gefährlichen Weg der Flucht und Migration machen. Die deutliche Verschärfung der EU-Abschottungspolitik mit der bevorstehenden Einrichtung von Haftlagern für Schutzsuchende an den Außengrenzen und die „strategische Partnerschaft“ der EU mit Tunesien zur Bekämpfung von Menschen auf der Flucht, die am 16. Juli unterzeichnet wurde, dürfte ebenfalls die Bewegungen in Richtung EU beschleunigen. In dem Abkommen wurde nicht einmal festgelegt, dass Tunesien seine systematischen Rechtsverletzungen bis hin zum tödlichen Aussetzen von Schutzsuchenden in der Wüste einstellen muss.
Human Rights Watch erklärte zu dem Abkommen: „Durch die Finanzierung von Sicherheitskräften, die bei der Migrationskontrolle Übergriffe begehen, ist die EU mitverantwortlich für das Leid von Migranten, Flüchtlingen und Asylbewerbern in Tunesien.“ Nach Angaben von Human Rights Watch wurden in den letzten Tagen mindestens 1.200 Schutzsuchende von der tunesischen Polizei in der Wüste oder in gefährlichen Gebieten nahe der libyschen und algerischen Grenze ausgesetzt.
Im vergangenen Monat haben humanitäre Organisationen mindestens 25 Todesfälle von Migrant:innen gemeldet, die im tunesisch-libyschen Grenzgebiet ausgesetzt wurden. Die tatsächliche Zahl der Menschen, deren Leichen einfach in der Wüste „verschwinden“, dürfte weit höher sein.