Am 10. Dezember 1948, also vor 75 Jahren, wurde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen (UN) verabschiedet. Die Menschenrechtssituation in der ganzen Türkei und vor allem in Nordkurdistan wird immer dramatischer. Murat Aba, Vertreter des Büros der Menschenrechtsstiftung Türkei (TIHV) in Amed (tr. Diyarbakır), Murat Aba, berichtet von einem Kampf um Grundrechte in Kurdistan: „Menschen werden gefoltert, das Recht zu demonstrieren wird ihnen genommen. Sogar das aktive und passive Wahlrecht wird geraubt. Der Gesellschaft soll die Luft zum Atmen genommen werden. Wir müssen der Gesellschaft Luft verschaffen.“
„Alles kann unter dem Vorwurf der Terrorpropaganda verfolgt werden“
2022 ist der TIHV ein Höchststand an Berichten über Folter und Misshandlung gemeldet worden, erklärte Aba gegenüber ANF und fuhr fort: „Die Schlussfolgerung ist, dass die Zahl der Menschen, die in der Türkei gefoltert werden, weiter steigt. Leider leben wir in einer Zeit, in der vieles nicht geäußert werden kann und die Menschen gezwungen sind, zu schweigen. Es ist eine Zeit, in der alles unter dem Vorwurf der Propaganda für eine Terrororganisation strafrechtlich verfolgt werden kann. In der Türkei wird den Menschen das Recht auf Meinungsäußerung genommen. Während wir in demokratischen Staaten Rechte wie das Recht auf Protest und Kritik haben, wird dieses Recht in der Türkei leider ausgehebelt."
„Wir treten für eine pluralistische Gesellschaft ein“
Aba beschrieb die in den vergangenen Jahren zunehmende Repression gegen Journalist:innen und sagte: „Dies hat dazu geführt, dass prozentual weniger über die in der Türkei geschehenen Rechtsverletzungen berichtet wird. Folter findet mittlerweile sogar immer mehr im öffentlichen Raum statt. Die Zahl der Folterfälle hat dramatisch zugenommen, ob im Gefängnis oder auf der Straße, ob an Versammlungsorten, zu Hause oder am Arbeitsplatz. In dieser Atmosphäre begehen wir die diesjährige Menschenrechtswoche. Leider gibt es in der Türkei eine zunehmende Gleichschaltung der Gesellschaft. Dagegen wehren wir uns natürlich. Als Gegenpol dazu werden wir in dieser Woche versuchen, der Öffentlichkeit und der Gesellschaft zu verkünden, dass wir eine pluralistische, vielfarbige Gesellschaft sind und dass wir die Probleme der Gesellschaft weiterhin mit lauter Stimme vorbringen werden.“
„Wir werden uns gegen die Rechtsverletzungen stellen“
Zur Situation der Menschenrechtsarbeit und der zivilgesellschaftlichen Organisierung sagte Aba: „Wir können aktuell leider nicht mehr von demokratischen Massenorganisationen sprechen, denn die Regierung hat die Menschenrechtsorganisationen und die Organisationen, die für Grundrechte eintreten, als Feind markiert und geht auf diese Weise gegen sie vor. Unsere Möglichkeiten, uns zu äußern, werden immer weiter eingeschränkt, weil die Menschenrechtsorganisationen die Probleme der Menschen in diesem Land, insbesondere in Kurdistan, ans Tageslicht bringen. Für uns ist das universelle Recht wichtig. Wer auch immer eine Rechtsverletzung begeht, gegen den stellen wir uns. So wie gestern bleiben wir auch heute aufrecht. Und wir sagen es immer wieder laut: ‚Ja, ihr könnt das Land mit Repression überziehen, ihr könnt uns das Recht zu reden, das Recht zu schreiben, nehmen, aber wir werden uns dem immer entgegenstellen. Wir werden weiter gegen die Gleichschaltung der Gesellschaft protestieren.“
„Alle unterschiedlich, alle gleich“
Aba beschrieb die Situation in Kurdistan als besonders dramatisch: „Menschen werden gefoltert, das Recht zu demonstrieren wird ihnen genommen. Seit Jahren werden Menschen immer enger eingekreist. Sie befinden sich draußen faktisch in Gefangenschaft oder werden ins Gefängnis geworfen. Das können wir auch am Wahlrecht beobachten: Haben wir das Recht zu wählen, haben wir das Recht gewählt zu werden? Die Kommunalverwaltungen in den kurdischen Gemeinden wurden mit Zwangsverwaltern besetzt. Wenn man das von diesem Blickwinkel aus betrachte, gibt es dann ein aktives oder passives Wahlrecht? Besteht das aktive Wahlrecht nicht darin, wählen zu gehen, und hängt dies nicht mit dem passiven Wahlrecht zusammen, nämlich dem Recht, dass eine Person, die gewählt wird, auch das Recht hat, ihr Amt für eine bestimmte Zeit zu bekleiden? Durch die Kontrolle über diese beiden Bereiche versucht die Regierung genauso, wie durch die Anwendung aller möglichen Foltermethoden, der Gesellschaft die Luft zum Atmen zu nehmen. Genau das ist unser Problem, wir müssen Raum zum Atmen schaffen. Während die soziale Komponente des Staates immer weiter reduziert wird, wird die sicherheitspolitische Komponente mit aller Macht gestärkt. Wir haben das beim Erdbeben gesehen, der Sozialstaat war abwesend, aber sofort danach wurde die Sicherheitspolitik mit Polizei und Militär fortgesetzt. Leider ist Kurdistan ein Ort, an dem Rechtsverletzungen ganz einfach verübt werden. Der gesamten Gesellschaft wird die Stimme geraubt. Wir sagen: ‚Jeder ist anders und jeder ist gleich‘, und genau das ist die Parole dieser Woche. Die Regierung stellt sich gegen Vielfalt und Gleichheit.“