Der in Şemzînan (tr. Şemdinli, Provinz Colemêrg/Hakkari) lebende Kurde Seferi Yılmaz, auf dessen Buchhandlung „Umut“ 2005 ein Bombenanschlag verübt wurde, geht davon aus, dass ein weiteres Attentat auf ihn geplant ist. Wie Yılmaz gegenüber MA mitteilte, hat ein Unbekannter am 15. August die Umgebung seiner Wohnung ausgekundschaftet. Kameraaufzeichnungen zeigen, dass der Mann die Wohnung aus einem nahen Waldgebiet beobachtete und verschwand, nachdem er bemerkt wurde.
„Meine Neffe ist zu mir gekommen und hat mir davon erzählt. Er hat gleichzeitig die Polizei angerufen. Aber die Polizei ist an jenem Tag nicht gekommen, um sich die Sache anzusehen. Vermutlich werden Vorbereitungen für einen neuen Anschlag getroffen“, berichtete Yılmaz und erinnerte an den Anschlag auf seine Buchhandlung. Auch damals sei er von den Attentätern, einer dreiköpfigen Todesschwadron im staatlichen Auftrag, observiert worden, es sei ein Grundriss seines Ladens erstellt worden. „Mein Leben ist nicht sicher und es wird nichts für meinen Schutz getan. Ich werde nicht locker lassen und verhindern, dass sich die Vorfälle aus der Vergangenheit wiederholen. Die Person ist auf den Kameraaufzeichnungen zu sehen. Es wird sich herausstellen, wer es ist. Wir haben die Polizei informiert, dass er in der Gegend etwas vorbereitet hat, aber es hat immer noch keine Untersuchung stattgefunden. Wir selbst können nicht nachgucken, weil es zu gefährlich ist. Ganz offensichtlich hat er dort etwas versteckt. Es ist sehr deutlich, dass er einen Anschlag vorhatte.“
Wer ist Seferi Yılmaz?
Seferi Yılmaz stammt aus Şemzînan und soll dabei gewesen sein, als der Guerillakommandant Mahsum Korkmaz (Nom de Guerre: Egîd) am 15. August 1984 in der Stadt Dih (Eruh) „den ersten Schuss“ der PKK abgab und damit den bewaffneten Befreiungskampf gegen die türkische Besatzungsmacht einleitete. Dafür saß Yılmaz 15 Jahre lang im Gefängnis. Nach seiner Entlassung im Jahr 2000 eröffnete er den Buchladen „Umut“ (dt. Hoffnung), die erste Buchhandlung überhaupt in Şemzînan. 2006 wurde erneut wegen Unterstützung der PKK verhaftet und war über ein Jahr im Gefängnis. 2014 wurde er zum Ko-Bürgermeister von Şemzînan gewählt und 2016 ein weiteres Mal verhaftet. An seiner Stelle wurde vom türkischen Innenministerium ein Zwangsverwalter eingesetzt. Nach knapp zwei Jahren kam Yılmaz wieder frei. 2020 entdeckte er beim Frühjahrsputz eine Wanze in seiner Küche.
Bombenanschlag auf Buchhandlung im staatlichen Auftrag
Am 9. November 2005, Yılmaz wollte sich gerade mit seinen zwei Mitarbeitern zum Essen setzen, verübte ein dreiköpfiges Sonderkommando des Militärnachrichtendienstes JIT – Todesschwadronen des tiefen Staats – einen Anschlag auf den Buchladen „Umut“. Yılmaz ging von einem Kunden aus und lief einige Schritte in Richtung Tür, als die erste Handgranate in den Laden geworfen wurde. Er konnte gerade noch „Bombe“ rufen, um seine Kollegen zu warnen. Dann rannte er raus und nahm die Verfolgung der Täter auf. Seine Mitarbeiter befanden sich zu dem Zeitpunkt im hinteren Bereich der Buchhandlung. Einer wurde durch Schrapnelle tödlich, ein anderer schwer verletzt. Seferi Yılmaz überlebte.
Die Bevölkerung von Şemzînan hatte alles beobachtet. Aufgebracht stellten die Menschen die Täter, stoppten den Wagen und griffen die Insassen an. Dabei stellten sie eine große Menge an Dokumenten wie Todeslisten, Attentatsplänen, Handgranaten deutscher Produktion und eine große Menge anderer Waffen sicher. Dann wurden sie der Polizei übergeben. Bei den Tätern handelte es sich um Ali Kaya und Özcan İldeniz, beide Mitglieder des türkischen Militärs im Rang des Feldwebels, sowie Veysel Ateş, einem Mitglied der Konterguerilla. Bei der Tatortbegehung kam es zu einem weiteren Vorfall: Sicherheitskräfte hatten aus einem fahrenden Auto heraus in eine Menschenmenge geschossen: ein Kurde starb, 20 weitere wurden verletzt.
Da klar war, dass der Anschlag und noch weitere Angriffe von staatlichen Kräften ausgeführt worden waren, war die Bevölkerung von Şemzînan wochenlang im Aufruhr. Bei den Protesten wurden drei weitere Menschen von der Polizei erschossen.
Prozess endet mit Freispruch für die Täter
Die Täter wurden verhaftet. Ein Zivilgericht verurteilte sie zu langjährigen Haftstrafen, doch dann wurde der Prozess einem Militärgericht übergeben. Der damalige Generalstabschef Yaşar Büyükanıt gab die Linie des Verfahrens vor, indem er die Mörder als „gute Jungs” lobte. Das Verfahren wurde verschleppt, die Mörder freigelassen. Ein neu aufgerollter Prozess endete im Dezember 2021 mit Freisprüchen für alle Angeklagten. Das Urteil wurde inzwischen höchstinstanzlich bestätigt.