Wohnung von Seferi Yılmaz illegal abgehört

Die Wohnung des früheren Bürgermeisters der kurdischen Stadt Şemzînan, Seferi Yılmaz, ist verwanzt worden. Vermutlich wurde der Politiker, der 2005 einen von der Konterguerilla verübten Anschlag auf seinen Buchladen überlebte, seit Ende 2016 abgehört.

Wann die Wohnung von Seferi Yılmaz verwanzt wurde, ist schwer zu sagen. Er selbst vermutet, dass er bereits seit Dezember 2016 illegal abgehört wird. Damals waren Yılmaz und seine Frau vorübergehend festgenommen worden. Außerdem hatte nur wenige Wochen zuvor die große Repressionswelle gegen die Demokratische Partei der Völker (HDP) eingesetzt, in deren Verlauf unzählige kurdische Politiker*innen verhaftet wurden, darunter auch die ehemaligen HDP-Vorsitzenden Figen Yüksekdaş und Selahattin Demirtaş. Ideale Bedingungen für das Gewaltmonopol des Staates, die Ausspähaktion zu beginnen.

Das Abhörgerät entdeckte der frühere Ko-Bürgermeister der Stadt Şemzînan (Şemdinli), einer kurdischen Widerstandshochburg in der Provinz Colemêrg (Hakkari), beim Frühjahrsputz in seiner Küche. „Die Wanze wurde hinter einem Hochschrank angebracht, also an einer Stelle, wo man unter normalen Umständen gar nicht rankommt. Zwar hatten wir immer wieder merkwürdige Geräusche vernommen. Allerdings gingen wir davon aus, dass es der Kühlschrank war“, sagt Seferi Yılmaz.

Seferi Yılmaz

Seferi Yılmaz ist kein gewöhnlicher „Feind“ des türkischen Staates. Denn er soll dabei gewesen sein, als der Guerillakommandant Mahsum Korkmaz (Nom de Guerre: Egîd) am 15. August 1984 in der Stadt Dih (Eruh) „den ersten Schuss“ der PKK abgab und damit den bewaffneten Befreiungskampf gegen die türkische Besatzungsmacht einleitete. Dafür saß Yılmaz 15 Jahre lang im Gefängnis. Nach seiner Entlassung war er in der „legalen“ Politik aktiv und betrieb parallel dazu seinen Buchladen „Umut“ (deut. Hoffnung), die erste Buchhandlung überhaupt in Şemzînan. Am 9. November 2005, Yılmaz wollte sich gerade mit seinen zwei Mitarbeitern zum Essen setzen, verübte ein dreiköpfiges Sonderkommando des Militärnachrichtendienstes JIT – Todesschwadronen des tiefen Staats – einen Anschlag auf den Laden. Yılmaz ging von einem Kunden aus und lief einige Schritte in Richtung Tür, als die erste Handgranate in den Laden geworfen wurde. Er konnte gerade noch „Bombe“ rufen, um seine Kollegen zu warnen. Dann rannte er raus und nahm die Verfolgung der Täter auf. Seine Mitarbeiter befanden sich zu dem Zeitpunkt im hinteren Bereich der Buchhandlung. Einer wurde durch Schrapnelle tödlich, ein anderer schwer verletzt. Seferi Yılmaz überlebte.

Die Bevölkerung von Şemzînan hatte alles beobachtet. Aufgebracht stellten die Menschen die Täter, stoppten den Wagen und griffen die Insassen an. Dabei stellten sie eine große Menge an Dokumenten wie Todeslisten, Attentatsplänen, Handgranaten deutscher Produktion und eine große Menge anderer Waffen sicher. Dann wurden sie der Polizei übergeben. Bei den Tätern handelte es sich um Ali Kaya und Özcan İldeniz, beide Mitglieder des türkischen Militärs im Rang des Feldwebels, sowie Veysel Ateş, einem Mitglied der Konterguerilla. Bei der Tatortbegehung kam es zu einem weiteren Vorfall: Sicherheitskräfte hatten aus einem fahrenden Auto heraus in eine Menschenmenge geschossen: ein Kurde starb, 20 weitere wurden verletzt.

Da klar war, dass der Anschlag und noch weitere Angriffe von staatlichen Kräften ausgeführt worden waren, stand die Bevölkerung von Şemzînan auf und verwehrte 15 Tage lang staatlichen Kräften den Zugang zur Stadt. 

Umut Buchhandlung, kurz nach dem Anschlag

Die Täter wurden verhaftet. Ein Zivilgericht verurteilte sie zu langjährigen Haftstrafen, doch dann wurde der Prozess einem Militärgericht übergeben. Der damalige Generalstabschef Yaşar Büyükanıt gab die Linie des Verfahrens vor, indem er die Mörder als „gute Jungs” lobte. Das Verfahren wurde verschleppt, die Mörder freigelassen. Ein neuaufgerollter Prozess ist noch immer nicht abgeschlossen.

Seferi Yılmaz hat inzwischen aufgrund des vorgefundenen Abhörgeräts Anzeige gegen unbekannt erstattet. Darin hat er Erfahrung, da er seit Jahren Ziel der staatlichen Repression ist und immer wieder mit dem Tod bedroht wird. Im August 2014 hatte man eine enthauptete Katzenleiche vor seinem Büro im Rathaus abgelegt. Zynisch und humorlos präsentierte sich die türkische Justiz ebenfalls, als sie das neue Schild der Buchhandlung, in der in Anspielung auf den Anschlag ein Fragezeichen mit Handgranate abgebildet war, zum Anlass für ein Verfahren mit dem Vorwurf „Verherrlichung von Straftaten” nahm. „Aber aufgeben werde ich in jedem Fall nicht. Ich werde alle juristischen Möglichkeiten ausschöpfen, bis sich die Sache aufklärt.“ Von der Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft erwartet Yılmaz Unterstützung für seinen Gerechtigkeitskampf.