Der Zwangsverwalter von Qers (türk. Kars), Türker Öksüz, hat mehr als zwei Dutzend hochrangige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Rathauses in andere Ämter versetzt – als Müllsammler für die städtische Abfallentsorgung. Von der Maßnahme, die das Wesen des türkischen Staates und seine Besatzermentalität widerspiegelt, sind insgesamt 25 Angestellte der Stadtverwaltung betroffen, darunter auch Leiter*innen der Ressorts Presse, technische Angelegenheiten sowie der kommunalen Baugesellschaft BELTAŞ. Das Mobbing, mit dem vermutlich die Kündigung der Mitarbeiter*innen erwirkt werden soll, hat große Empörung bei der Bevölkerung von Qers ausgelöst.
Türker Öksüz ist der Provinzgouverneur von Qers, einer multiethnischen Region im äußersten Nordosten des türkischen Staatsgebietes, die an Armenien und Georgien grenzt. Er wurde nach der Festnahme des Bürgermeister-Duos in Qers Ende September durch das türkische Innenministerium zum staatlichen Treuhänder des Rathauses ernannt. Nach dem Beschluss zog Öksüz Anfang Oktober mit einem Heer von Bodyguards ins Rathaus ein. Als erste Amtshandlung segnete er die „Eroberung“ der Stadt mit dem Freitagsgebet. Zwei Tage später löste er den Stadtrat auf. Der Stadtrat bestand aus 25 Mitgliedern von fünf Fraktionen, zehn der Verordneten gehörten der Demokratischen Partei der Völker (HDP) an. Die Maßnahme muss bereits im Vorfeld geplant worden sein, da die Ernennungsurkunden der Verordneten bereits für ungültig erklärt worden waren, noch bevor die Absetzung bekanntgegeben wurde.
Der bei den Kommunalwahlen im März 2019 gewählte Ko-Bürgermeister von Qers, Ayhan Bilgen, befindet sich seit dem 2. Oktober in der Türkei in Haft. Şevin Alaca, die weiblichen Hälfte der genderparitätischen Doppelspitze in Qers, wurde eine Woche später inhaftiert – wegen Terrorvorwürfen. Seit Öksüz an ihrer Stelle im Rathaus sitzt, wurden auch alle demokratischen und zivilgesellschaftlichen Aktivitäten eingestellt. Sowohl die von der HDP eröffneten Kooperativen und Räte als auch Frauensolidaritätszentrum der Stadtverwaltung und das „Lila Café“ als Anlaufstellen für Frauen mit Gewalterfahrungen oder Hilfesuchende aufgrund ökonomischer oder psychologischer Probleme wurden geschlossen. In Stadtvierteln, die bis zur Wahl von Bilgen und Alaca - teilweise seit sieben Jahren - keine Dienstleistungen erfahren hatten, standen Straßen- und Infrastrukturausbauprojekte direkt vor dem Abschluss. Nun tut der Zwangsverwalter so, als wäre das seine Leistung.