Vor dem neunten Schwurgericht in Amed (Diyarbakir) hat der Prozess gegen den abgesetzten Oberbürgermeister Selçuk Mızraklı begonnen. Mızraklı, der bis zu seiner Wahl zum Ko-Bürgermeister der kurdischen Metropole Amed im März als Arzt arbeitete, war am 19. August vom türkischen Innenministerium abgesetzt und im Oktober verhaftet worden. Ihm wird Mitgliedschaft in einer Terrororganisation vorgeworfen, dafür drohen ihm bis zu 15 Jahre Freiheitsstrafe. Die Anklage beruht auf den fragwürdigen Aussagen der Kronzeugin Hicran Berna Ayverdi, die vom türkischen Reuegesetz profitieren will und auf Strafminderung hofft.
Die Verhandlung fand unter regem öffentlichem Interesse statt. Zahlreiche Politikerinnen und Politiker der Parteien HDP, CHP, Saadet, KKP und Emek beobachteten das Verfahren im Gerichtssaal. Nicht anwesend war der Angeklagte selbst. Er befindet sich im 700 Kilometer Entfernung gelegenen Gefängnis in Kayseri und konnte nur über eine Videoschaltung an seinem eigenen Prozess teilnehmen.
Mızraklı wies vor Gericht darauf hin, dass der türkische Staatschef Erdoğan bereits im Vorfeld der Kommunalwahlen vom 31. März angekündigt hatte, unliebsame Wahlsieger durch Zwangsverwalter zu ersetzen. Zu dieser Ankündigung passt die Tatsache, dass die Aussage der Kronzeugin gegen den sicheren Wahlsieger in Amed erst Mitte März aufgenommen wurde – drei Jahre nach ihrer Festnahme. Laut dieser Aussage hat Ayverdi als Anästhesistin eine Zeitlang im gleichen Krankenhaus wie Mizraklı gearbeitet und dabei miterlebt, dass dieser ein „Mitglied der Terrororganisation“ medizinisch behandelte.
Die Verhandlung wurde auf den 10. Februar 2020 vertagt. Der Haftbefehl gegen Mizraklı wurde nicht aufgehoben.