„Wir können die Gehälter der Beamten nicht bezahlen, da wir über kein Budget verfügen“. Diesen Satz äußerte der Ministerpräsident der Region Kurdistan, Mesrûr Barzanî, diese Woche in einem Interview, das gleichzeitig in mehreren irakischen und kurdischen Kanälen ausgestrahlt wurde. Das Argument, über kein Budget zu verfügen, wird in Hewlêr (Erbil) seit 2014 verwendet, um das Einkommen von Staatsbediensteten zu kürzen oder immer wieder ganz auszusetzen. Da Südkurdistan über eine große Beamtenschaft verfügt, sind die Aussetzungen der Lohnzahlung zu einem der Hauptprobleme der Region geworden.
Es ist nicht klar, wie lange die Menschen noch stillzuhalten
Die meisten Menschen haben bisher aus zwei Gründen stillgehalten: Einerseits wegen der Bedrohung durch den IS und andererseits aus Rücksicht auf den ohnehin wegen des gescheiterten Referendums geschwächten politischen Status der Autonomieregion. Zwar führt das Ausbleiben oder Kürzen der Gehälter in unregelmäßigen Abständen zu Streiks, dennoch ist es den Menschen wichtig, die mit ihrem Blut erkämpften Errungenschaften zu schützen. Diese Tatsache wirft die Frage auf, ob denn auch die beiden in Südkurdistan herrschenden Parteien PDK (Demokratische Partei Kurdistans) und YNK (Patriotische Union Kurdistans) die gleiche Geduld und Opferbereitschaft an den Tag gelegt haben.
System der Korruption
Wenn man die reichen, unter- und oberirdischen Ressourcen sowie die anderen Einkommensquellen betrachtet und sie mit den Gehältern in Beziehung setzt, dann entsteht ein Bild systematischer Korruption, bei der die Ressourcen der Region vor allem in die Türkei, aber auch in andere Länder abfließen.
Hohe Differenzen bei Zahlenangaben zu Beamten
Nach offiziellen Angaben der südkurdischen Autonomieregierung gibt es 1,256 Millionen öffentlich Beschäftigte in der Region, deren Gehalt monatlich 727 Millionen Dollar beträgt. Bei einer Bevölkerungszahl von knapp sechs Millionen ist das ein Fünftel. Nach Angaben der irakischen Zentralregierung in Bagdad beträgt die tatsächliche Zahl der Staatsbediensteten in der Region Kurdistan allerdings nur 683.021, deren monatliche Lohnkosten bei 260 Millionen Dollar liegen. Zu den registrierten Beamtinnen und Beamten gibt es laut des irakischen Bundesfinanzausschusses dann noch 572.979 Personen, die von der PDK oder YNK widerrechtlich als solche dargestellt werden. Entsprechend weigert sich die Zentralregierung, Lohn für Pseudobeamte zu zahlen. Bei diesen Personen handelt es sich häufig um Unterstützer der Regierungsparteien, die durch einen scheinbaren Beamtenstatus zum Klientel des Barzanî-Clans der PDK oder der YNK gemacht werden.
Exorbitante Einnahmen widersprechen einer angeblichen Pleite
Zu den Haupteinnahmequellen der Region Kurdistan gehören die Erträge aus dem Öl, dem Grenzverkehr, Einkünfte aus dem Inneren und das Budget, das von der Zentralregierung geschickt wird. Nach offiziellen Angaben des Regionalparlaments aus dem Jahr 2019 staffeln sich die Einnahmen folgendermaßen:
Öleinkommen: Die Region Kurdistan exportiert jährlich insgesamt 158,5 Millionen Barrel Öl und macht damit einen Bruttogewinn von 8,4 Milliarden US-Dollar. Netto bedeutet dies nach Angaben des Parlaments ein Gewinn von 2,9 Milliarden US-Dollar. Dieser Rechnung zufolge exportiert Südkurdistan täglich 434.282 Barrel Öl. Der Jahrespreis für Öl betrug im letzten Jahr 53 US-Dollar brutto pro Barrel und damit 18,5 US-Dollar Reingewinn. Damit fließen monatlich 241,8 Millionen US-Dollar Nettogewinn in die Kassen der Regionalregierung.
Zolleinnahmen: Nach Angaben des Parlaments kommen außerdem monatlich 200 Millionen US-Dollar aus Zoll und Steuern hinzu.
Budget von der Zentralregierung: Die irakische Zentralregierung zahlt seit März 2019 monatlich 368 Millionen US-Dollar an die südkurdische Regionalregierung. Damit erreicht die monatliche Gesamtbilanz mindestens 813 Millionen US-Dollar für die Region Kurdistan. Obwohl die monatlichen Ausgaben für Beamte nur 727 Millionen Dollar betragen, werden die Löhne dennoch nicht gezahlt.
Regierung bei Beamten verschuldet
Zwischen den Jahren 2015 und 2020 erhielten die Staatsbediensteten zehn Mal gar keine Gehälter, 36 Mal wurde der Lohn nur gekürzt gezahlt. Laut dem irakischen Finanzausschuss schuldet die südkurdische Regierung ihrer Beamtenschaft aktuell mehr als 16 Milliarden US-Dollar. Auch die letzten beiden Gehälter wurden wieder gekürzt - um 21 Prozent. Die Auszahlung erfolgte aus den etwa 290 Millionen US-Dollar, die aus Bagdad nach Hewlêr fließen.
Parlament geschlossen und Ölhahn aufgedreht
Die Vertreter der südkurdischen Regierung versuchen das Ausbleiben der Gelder mit der politischen Krise mit der Zentralregierung, dem Absturz auf dem Dollarmarkt und der Corona-Pandemie zu erklären. Die Spannungen mit Bagdad dauern allerdings schon seit 2014 an. Nach 2014 standen die Ölquellen bei Kerkûk (Kirkuk) vier Jahre lang unter der Kontrolle der Regionalregierung. Es wurden täglich rund 800.000 Barrel Öl gefördert und exportiert. Zu der Zeit schloss die PDK insbesondere mit dem türkischen Staat und seinen Ölunternehmen diverse Abkommen. Die Einkommensbilanzen von drei Jahren dieser Phase sind nicht bekannt, da das Parlament geschlossen wurde.
Zwischen 2014 und 2017
2017 verlautete es aus dem Ölministerium von Südkurdistan, dass die tägliche Ölproduktion bei 630.000 Barrel liegen würde. Als der damalige Ministerpräsident und jetzige Präsident der Autonomen Region Kurdistan, Nêçîrvan Barzanî, auf dem internationalen Wirtschaftsforum am 2. Juni 2017 in Petersburg einen zwanzigjährigen Vertrag mit der russischen Ölfirma Rozneft schloss, wurde allerdings bekannt, dass die Ölproduktion bei über 700.000 Barrel täglich lag. Der damalige Ölminister der irakischen Zentralregierung, Jabbar Ali Hussein Alluaibi, erklärte am 23. Juni 2017 gegenüber Reuters, dass Hewlêr täglich 520.000 Barrel Öl ins Ausland exportiere.
Fünfzigjähriges Abkommen mit Ankara
Diese Zahlen zeigen, dass zwischen 2014 und 2017 in den Haushalt der Region Kurdistan weit mehr Ölgelder geflossen sind als bekannt. Im Jahr 2014 hatte die PDK einen 50-Jahres-Vertrag mit dem türkischen Staat über den Direktölverkauf unterzeichnet. Damit begann der Ölfluss in die Türkei. Der konkrete Inhalt dieser Vereinbarung ist jedoch weiterhin unbekannt.
Doppelter Zoll
Die südkurdische Regierung zahlt für das Öl, das über den Hafen von Ceyhan in die Türkei fließt, zweimal Zoll. An eine Firma werden 3,17 US-Dollar pro Barrel abgeführt, an die weitere sogar 3,85 US-Dollar pro Barrel. Nach den Zahlen aus 2019 wurden so an beide türkische Firmen innerhalb eines Jahres 1,1 Milliarden US-Dollar an Zollzahlungen geleistet. Niemand außer den beteiligten Parteien kennt die Details des fünfzigjährigen Ölabkommens zwischen dem türkischen Staat und der PDK, insbesondere was die Produktion, Schifffahrt, Raffinerie und den Preis betrifft. In Südkurdistan führen die Turkish Energy Company (TEC), die Genel Enerji, Doğan Enerji, Petoil sowie weitere Ölkonzerne Sondierungs- und Förderarbeiten durch. Ahmed Hadschi Rashid vom Finanzausschuss des irakischen Parlaments erklärte gegenüber RojNews: „Die Zahl der Personen, die den Inhalt des Abkommens kennen, ist an einer Hand abzuzählen.“
Hauptgrund der Krise zwischen Bagdad und Hewlêr
Der Hauptgrund für die Krise zwischen der irakischen Zentralregierung und der PDK liegt darin, dass letztere unter Umgehung der Zentralregierung Öl direkt an die Türkei verkauft. Bagdad zog daraus die Konsequenz, den Haushaltsanteil für Südkurdistan um 17 Prozent zu senken. Erst wenn die Öleinnahmen an die irakische Staatskasse überwiesen werden, soll die Kürzung zurückgenommen werden. Der Öl-Deal wird im Moment auch juristisch angefochten. 2014 legte Bagdad beim Internationalen Schiedsgericht in Paris eine Beschwerde gegen den türkischen Staat wegen unerlaubten Ölexports ein. Die 27 Milliarden Dollar schwere Klage ist noch nicht abgeschlossen. Das Volumen des Ölhandels zwischen der PDK und dem türkischen Staat ist nach wie vor unbekannt. Einige der Erklärungen, die zum Zeitpunkt des Öldeals gemacht wurden, bieten jedoch wichtige Hinweise.
„Wir haben Lausanne zerstört“
Wenige Monate nach dem Ölabkommen, im November 2014, erklärte der damalige türkische Zoll- und Handelsminister Nurettin Canikli, dass durch den mit der PDK unterzeichneten Vertrag die „Verluste von Lausanne“ wieder wettgemacht worden seien. Der Vertrag von Lausanne legte am 24. Juli 1923 die heutigen Staatsgrenzen der Türkei fest und beschnitten das ehemalige Osmanische Reich deutlich. Caniklis genaue Worte lauteten: „Wir haben gute Beziehungen zur nordirakischen Regierung, sowohl wirtschaftlich als auch politisch. Mit dem Ölabkommen stellen wir jedes Jahr zehn bis zwanzig Milliarden Dollar zur Verfügung. Mit diesem Abkommen haben wir unsere damals in Lausanne verlorenen Rechte weitgehend kompensiert.“
Das Geld liegt auf türkischen Banken
Die Milliardengewinne aus dem Ölexport bleiben jedoch nicht in der kurdischen Autonomieregion, sondern werden bei der türkischen Halkbank geparkt. So entsteht eine Win-Win-Situation für das Erdoğan-Regime und ein massives Defizit für die Bevölkerung Südkurdistans.