Nach Angaben von Niyaz Hamid, Experte für Politik in Südkurdistan, handelt es sich bei dem Konflikt in Zînê Wertê um einen gemeinsamen Plan der Barzani-Partei PDK und der Türkei. Dieser Plan schließt auch Mosul und Kerkûk mit ein.
Die PDK hat ohne Wissen der Parteien YNK und Gorran im Namen der Regierung der Autonomieregion Kurdistan Peschmerga-Einheiten mit schweren Waffen in Zînê Wertê am Rande des Guerillagebiets im Qendîl-Gebirge stationiert. Für die PKK kommt dieser Schritt einer Kriegserklärung gleich. Vertreter von PDK und Regierung behaupten, die Truppenstationierung sei eine Präventionsmaßnahme zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Vor zwei Tagen hat Lîwa Behram Erîf Yasîn, Kommandant der Helgord-Einheit und PDK-Mitglied, diese Behauptung dementiert und erklärt, dass es sich um einen langfristigen Plan handelt und die militärischen Kräfte aus Sicherheitsgründen nicht abgezogen werden.
Abkommen mit der Türkei
Der südkurdische Politikexperte Niyaz Hamid sieht in Yasîns Erklärung eine Art Geständnis. Die Truppenverlegung nach Zînê Wertê sei nicht plötzlich erfolgt, sondern Teil eines Abkommens, das im Februar beim Türkei-Besuch von Ministerpräsident Mesrur Barzani geschlossen worden ist. Dazu gehörten auch die zeitgleichen Luftangriffe der türkischen Armee auf die Guerilla und Mexmûr. Bei den Bombardierungen am 15. April waren drei Guerillakämpfer in Zînê Wertê und drei Frauen aus dem Flüchtlingslager Mexmûr ums Leben gekommen. Laut Hamid hat der türkische Staatschef Erdogan der PDK deutlich gemacht, dass sie sich ohne Unterstützung der Türkei nicht an der Macht halten kann und daher zwangsläufig seinen Anweisungen Folge leisten muss.
Vom türkischen Geheimdienst unterwandert
Hamid verweist auf die neoosmanischen Expansionspläne der Türkei und erklärt, dass alle Institutionen der PDK vom türkischen Geheimdienst unterwandert worden sind. Laut Hamid ist die PDK mittlerweile nicht mehr in der Lage, unabhängig vom türkischen Staat zu agieren: „Aus Südkurdistan werden täglich 600-700.000 Barrel Öl an die Türkei geliefert. Die PDK muss täglich an Erdogan und seine Familie liefern, auch deshalb ist sie zu nichts mehr in der Lage. Die Türkei hat eigene Leute in den sensibelsten Beschlussorganen der PDK und in allen Behörden und Institutionen installiert. Im Grunde genommen gibt es die PDK als solche überhaupt nicht mehr. Es gibt vielleicht noch eine kleine Gruppe, die sich zu behaupten versucht, aber als Partei existiert sie nicht mehr. Sie ist von der Türkei übernommen worden und hat jeglichen Bezug zur kurdischen Sache und zum Irak verloren“, so Niyaz Hamid.
Bewaffnete Schutztruppe des türkischen Staates
In ihrem aktuellen Zustand sei die PDK eine Art bewaffnete Schutztruppe des türkischen Staates. Dabei unterscheide sie sich von den kurdischen „Dorfschützern“, die in der Türkei als Paramilitärs im Krieg gegen die kurdische Befreiungsbewegung eingesetzt werden. „Die Dorfschützer im Norden bekommen einen Sold für ihre Tätigkeit. Die PDK hingegen zahlt sogar noch drauf. Das ist die merkwürdige und schlechte Seite dieser Angelegenheit. Sie tut es für den eigenen Machterhalt.“
Offizielle Einladung an die Besatzer
Hamid erinnert daran, dass die Regionalregierung Kurdistans eine gesetzliche und legitime Einrichtung ist, die in der irakischen Verfassung garantiert und auf internationaler Arena anerkannt wird. Die PDK habe die Regierung in gewisser Weise unter Beschlag genommen und nutze die gesetzlich verankerte Position aus, um die Türkei offiziell anzurufen und Operationen durchführen zu lassen. Mit der Errichtung türkischer Militärstützpunkte und der dauerhaften Präsenz des türkischen Staates in Südkurdistan überschreite die PDK jedoch ihre Kompetenzen, meint Hamid und führt weiter aus: „Wenn die Türkei offiziell eingeladen wird, Militäroperationen durchzuführen, lehnen die USA das nicht ab, weil es auch Teil ihres Planes ist. Zwischen den USA, der Türkei und der PDK gibt es zwar Widersprüche hinsichtlich der Verschiebung der irakischen Ressourcen in die Türkei, aber nicht hinsichtlich des gegen die PKK gerichteten Plans.“
Plan schließt Mosul und Kerkûk mit ein
Der Plan, den der türkische Staat mit der PDK umsetzen will, umfasst laut Hamid auch Mosul und Kerkûk und gewinnt damit eine zusätzliche gefährliche Dimension: „Auf der einen Seite werden die kurdische Befreiungsbewegung und die Guerilla angegriffen, um Bradost, Qendîl und weitere Gebiete zu besetzen. Auf der anderen Seite werden dschihadistische Gruppen in den Regionen um Mosul und Kerkûk zum Einsatz gebracht. Auf diese Weise nimmt der türkische ‚Misak-i Milli‘-Plan konkrete Formen an.“
Regierung und Parlament sind reine Formalität
Nach Hamids Meinung agiert die südkurdische Regierung nur mit Genehmigung der türkischen Botschaft in Hewlêr (Erbil). In den Beschlussorganen haben YNK und Gorran keinen Einfluss mehr. Die PDK behält die beiden anderen Parteien nur noch an ihrer Seite, um den Anschein von Legitimität zu wahren, so der südkurdische Politikexperte Niyaz Hamid: „YNK und Gorran wissen besser als alle anderen, dass sie innerhalb der Regierung keine Rolle spielen und nur als Verzierung dienen. Die bestehende Regierung und das Parlament sind reine Formalität.“