Soll Behdînan zu einer Provinz der Türkei werden?
Ein Kommentar von Kasım Engin zur türkischen Besatzungspolitik in der südkurdischen Region Behdinan und der Kollaboration der PDK
Ein Kommentar von Kasım Engin zur türkischen Besatzungspolitik in der südkurdischen Region Behdinan und der Kollaboration der PDK
Der Aufbau eines Hauptquartiers von bewaffneten Kräften der südkurdischen Regierungspartei Barzanis PDK in Zînê Wertê und die Stationierung vieler PDK-Peschmerga in der Region hat eine neue Situation geschaffen. Zunächst wurde behauptet, es handele sich um eine Maßnahme zur Seuchenprävention. Es folgten schwammige und widersprüchliche Erklärungen. Schließlich erklärte Neçirvan Barzani, die PKK müsse Südkurdistan verlassen. Damit gab er das eigentliche Ziel der Besetzungsoperation in Zînê Wertê in der Qendil-Region preis. Von Anfang an war klar, dass es sich bei der Behauptung, es gehe um eine Maßnahme gegen Covid-19, um einen Vorwand handelte. Zînê Wertê ist eine strategische Engstelle zwischen Qendîl und Karox. Es handelt sich um den Zugang zu den von der Guerilla geschützten Medya-Verteidigungsgebieten. Die Stationierung ist nichts anderes als Teil eines Konzepts, Qendil einzukreisen.
Bisher befand sich eine kleine Anzahl von YNK-Peschmerga dort. Mit anderen Worten, es war eine Fläche, die von der YNK kontrolliert wurde, und nicht von der PDK. Plötzlich zogen sich die YNK-Truppen jedoch zurück und die PDK begann ihre Kräfte zu stationieren. Jeder, der die Region kennt und ein wenig von Politik versteht, kann leicht begreifen, was dahintersteht.
Schmutzige Allianz zwischen PDK und türkischem Staat
Die PDK unterhält seit langem üble Beziehungen zum türkischen Kolonialstaat. Sie arbeitet auf allen Ebenen mit dem türkischen Militär und dem Geheimdienst MIT zusammen. Sie lässt den Kolonialstaat immer neue Stützpunkte in Südkurdistan errichten und leistet logistische Unterstützung, so dass der MIT in Südkurdistan frei agieren kann. Auf diese Weise konnte der MIT sein Agentennetzwerk in Südkurdistan in den vergangenen Jahren massiv ausbauen.
Schicht von Kollaborateuren in Südkurdistan
Die südkurdische Bevölkerung ist patriotisch und antikolonial eingestellt. Aber wie in jedem Land gibt es eine Schicht von Kollaborateuren, die bereit sind, sich selbst zu verkaufen. So werden durch Methoden des Spezialkriegs und der psychologischen Kriegsführung Menschen erniedrigt und als Quellen des türkischen Staates gekauft. Bei diesem Verbrechen trifft die PDK-Administration und Kreise in der Regierung, die wie sie agieren, die größte Schuld und Verantwortung.
Die PDK hat sich bisher nicht einmal auf verbaler Ebene gegen die Invasionsangriffe des türkischen Kolonialstaates positioniert. Sie hat sich nicht zu den gefallenen Guerillakämpfer*innen, ja nicht einmal zu den türkischen Massakern an der Zivilbevölkerung Südkurdistans geäußert. Alle Angriffs- und Besatzungsoperationen des faschistischen türkischen Staates sind für die PDK legitim, und die PKK wird als Ursache dargestellt. Manchmal äußert sie dies nicht direkt, weil sie Angst vor der kurdischen Öffentlichkeit hat. Aber ihre letzte Erklärung zeigt dies erneut ganz offen.
Seit einem Jahr Embargo gegen Mexmûr
Der türkische Kolonialfaschismus hat viele Teile Südkurdistans besetzt. Aber die PDK sagt kein Wort, sie fragt nicht, was die türkischen Truppen in Kurdistan verloren haben, stattdessen sagt sie, dass die Befreiungsbewegung aus ihrem eigenen Land verschwinden soll. Es ist schwierig, ein anderes Ereignis zu finden, das die Moral und den Charakter der PDK so klar wie dieses offenbart. In der Vergangenheit hatte dieselbe PDK den Vereinigten Staaten angeboten, Kurdistan als Provinz zu akzeptieren. Jetzt verhält sie sich, als ob Behdinan, ja eigentlich ganz Südkurdistan, ein Teil der Türkei wäre.
Die PDK beugt sich vor dem Feind, sie kollaboriert, aber sie betrachtet eine für die Freiheit der Völker kämpfende Bewegung und ihre Mitglieder als Feinde. Wie alle Herrschenden dient die PDK ausländischen Mächten, nicht ihrem Volk. Eines der deutlichsten Beispiele dafür ist das Embargo gegen das Flüchtlingslager Mexmûr. Seit fast einem Jahr herrscht ein schweres Embargo gegen seine Einwohner*innen, die Ein- und Ausgänge des Flüchtlingslagers wurden blockiert. Der Grund dafür ist, dass ein MIT-Agent von patriotischen Jugendlichen Kurdistans getötet worden ist.
Welcher Kurde würde sich nicht über die Bestrafung eines Agenten freuen? Wie kann eine solche Reaktion auf die Tötung eines hochrangigen Agenten des Kolonialfaschismus folgen? Wie kann man sich derartig vor die Besatzungsmacht stellen? Dies ist Ausdruck einer kolonialen Persönlichkeit und eines Kollaborationscharakters. Anders lässt es sich nicht bewerten.
Wird ein Volk, das sich der Türkei nicht gebeugt hat, vor den Kollaborateuren einknicken?
In den 90er Jahren belagerte der türkische Kolonialstaat Dörfer in Nordkurdistan und verhängte Nahrungsmittelembargos. Selbst dieser faschistische Staat hat es nicht gewagt, eine Gemeinde für diese Dauer und auf diesem Niveau unter Blockade zu stellen. Aber die PDK besteht darauf, dies ihrer eigenen Bevölkerung anzutun. Sie will königlicher sein als der König. Die Menschen in Mexmûr sind vor dem türkischen Kolonialfaschismus geflohen und haben sich in diesem Lager niedergelassen. Sie haben sich nicht dem Staat ergeben, sondern ihre Entschlossenheit zu einem freien Leben gezeigt, indem sie nicht in die türkischen Metropolen, sondern nach Südkurdistan gegangen sind.
Wenn sich jemand nicht dem türkischen Staat unterwirft, wird er das auch niemals seinen Kollaborateuren gegenüber tun. Die PDK interessiert sich nicht für die kurdischen Interessen, weil sie ihre Macht und ihren Profit an externe Kräfte gebunden hat. Ihr Interesse ist weder Einheit noch Freiheit, sondern ihre eigene Macht und ihr Profit. Sie sabotiert seit Jahren jegliche Bemühungen um eine kurdische Einheit.
Der türkische Staat ist nicht nur der Feind der PKK und des von ihr angeführten Freiheitskampfes, sondern der Feind aller Kurd*innen. Er hält sich selbst dadurch an der Macht, indem er einen Status für die Kurd*innen verhindern. Wir stehen einer kranken, rassistischen und faschistischen Mentalität gegenüber, die ihr eigenes Ende in der Freiheit des kurdischen Volkes sieht. Es wird eine Politik der Massaker und des Genozids am kurdischen Volk geführt. Ohne die PKK würde dieser Staat die PDK nicht einen Tag tolerieren.
Es geht um mehr als nur um türkische Interessen
Hat die Türkei nicht ihr Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht, dass sie den Status Südkurdistans akzeptiert hatte? Hat ihre Haltung zum Unabhängigkeitsreferendum 2016 das nicht gezeigt? Die Welt sieht das, aber die PDK will nicht den Kopf aus dem Sand ziehen und die Augen öffnen. Sie opfert alles ihren kurzfristigen Interessen. Es ist eine grundlegende Politik der Kolonialisten, die Kurden mit Kurden zu brechen. Genau das findet auch heute statt. Was im Norden getan wurde, soll auch im Süden geschehen. Die PDK geht dem ganz einfach auf den Leim.
Obwohl gesagt wird, dass nie wieder ein „Bruderkrieg“ stattfinden soll, zeigen die Entwicklungen, dass das Gegenteil der Fall ist. Was in Mexmûr und Zînê Wertê geschieht, zeigt, dass die PDK auf der Rechnung anderer Staaten agiert. Ist es möglich, dass die PDK einen solch gefährlichen Kurs ohne die Unterstützung der USA einschlägt? Das ist ein wichtiger Punkt. Die Beziehungen der PDK zu den USA und Israel sind bekannt. Für die PDK ist es schwer, unabhängig von diesen Staaten zu agieren. Es ist wichtig, die aktuellen Entwicklungen tiefergehend zu betrachten.
Eine Bewertung der gesamten Beziehungen und Widersprüche im Mittleren Osten ist erforderlich. Das Hauptproblem für die Vereinigten Staaten ist der Iran. Es geht den USA aktuell vor allem um einen Regimewechsel im Iran. Ihr Widerspruch zur PKK besteht auf ideologischer und strategischer Ebene. Alle Widersprüche und Beziehungen müssen in diesem Kontext diskutiert werden. Die Ziele der USA in der kommenden Zeit werden sich in der Region in diesem Rahmen bewegen. Wenn die PDK von den Vereinigten Staaten auf eine solche Politik ausgerichtet wird, ist es notwendig zu analysieren, was dahintersteht. Es ist klar, dass es dabei nicht nur um türkische Interessen geht.
Kein Widerspruch zwischen zwei Parteien – sondern zwischen Kollaboration und Befreiung
Vor diesem Hintergrund besteht die reale Möglichkeit, dass die PDK die kurdische Freiheitsbewegung angreift. Von einem solchen Konflikt wird der türkische Kolonialfaschismus profitieren. Die Bevölkerung wird den größten Schaden erleiden. Die einzige Kraft, die dies verhindern kann, ist die Sensibilität unseres Volkes und die strikte Unterstützung der Einheit und Zusammenarbeit. Es geht nicht um Probleme zwischen zwei kurdischen Parteien. Eine solche Betrachtung legitimiert die Haltung der PDK. Die PDK kollaboriert mit dem türkischen Staat und ist Partner bei seiner Besatzungs- und Vernichtungspolitik. Die Menschen müssen dieser Haltung, dieser Politik – das heißt dieser PDK – Einhalt gebieten.
Wenn alle, die Einheit und Freiheit für unser Volk wollen, offen Position beziehen, dann wird dieses Komplott nicht greifen. Andernfalls ist es möglich, dass irreparable Konsequenzen entstehen. Von den aufgeklärten Kulturschaffenden über die Frauen und die Jugend sollten alle Kurden diese Gefahr sehen und Maßnahmen ergreifen, diese abzuwenden. Die aktuelle Haltung reicht nicht aus. Es reicht nicht aus, zu fordern, keinen „Bruderkrieg“ zu führen und kurdische Interessen an Stelle von Parteiinteressen zu verfolgen. Diese Worte drücken lediglich eine gute Absicht aus.
Die Verantwortlichen müssen benannt werden
Die Frage, die gestellt werden muss, lautet: „Wer nimmt nicht an der kurdischen Einheit teil? Wer provoziert? Wer stellt familiäre und parteipolitische Interessen an die Stelle von gemeinsamen Interessen?“ Diese Fragen sollten zuerst beantwortet werden. Und wenn man zu einer Antwort kommt, dann sind Taten gefragt. Die Verantwortlichen müssen benannt werden. Da dies bisher nie geschehen ist, waren alle Worte, die gesagt wurden, nie mehr als harmlose Bekundungen guten Willens.
Es ist eindeutig an der Zeit, gegen diejenigen Stellung zu beziehen, die mit kolonialen Kräften gemeinsame Sache machen und für deren Interessen agieren. Es ist an der Zeit, sich gegen die Macht zu stellen, die hinter den Provokationen steht. Es ist an der Zeit, sich gegen die zu stellen, die dem Feind nach dem Mund reden. Gegen diejenigen, die Behdînan und möglichst den ganzen Süden Kurdistans zu einer Provinz der Türkei machen wollen, muss radikal Position bezogen werden.