Der Ko-Vorsitzende der HDP, Mithat Sancar, ist nach der Sitzung des Krisenstabs seiner Partei zur Koordinierung der Hilfe selbst ins Erdbebengebiet gereist und hat sich an der Arbeit von Ort beteiligt. In Meletî (tr. Malatya) gab der Politiker eine Erklärung ab:
„Überall, wo wir hinkommen, sehen wir das Ausmaß der Zerstörung. Erdbeben sind ein natürliches Phänomen, aber die Folgen sind politisch. Die Regierung und ihre Befürworter behaupten ständig, dass es sich nicht um ein politisches Problem, sondern nur um eine große Naturkatastrophe handelt, aber das entspricht nicht der Realität. Um sich ein Bild von der Realität zu machen, muss man an die Orte kommen, an denen die Menschen leben. Man muss mit den Menschen sprechen und direkt vor Ort sein. Wir sind hier und sehen es mit unseren eigenen Augen. Wenn man sich den Präsidenten und andere Vertreter der Regierung seit dem ersten Tag anschaut, sind die Worte, die aus ihrem Mund kommen, nichts als Drohungen und Beleidigungen. Auch heute hat der Juniorpartner der Regierung [MHP] allen gedroht. Doch die Menschen, die beleidigt und bedroht werden, sind diejenigen, die sich für die Menschen einsetzen, die unter dieser Zerstörung leiden. Sie sind die Organisationen und Einzelpersonen, die eine große Solidarität zusammenstellen, um die dringenden Bedürfnisse der Menschen zu erfüllen."
„Unser wichtigstes Instrument ist Solidarität“
Weiter erklärte Sancar: „Menschen und Organisationen aus der ganzen Türkei und verschiedenen Ländern der Welt sind aus Solidarität hier. Die Szene, die wir jetzt im Ören-Viertel sehen, ist ein gutes Beispiel dafür, wie Menschen ihre eigenen Wunden mit Solidarität heilen. Diese Bemühungen sind für uns alle ein Vorbild. Die gleiche Solidarität setzt sich auch anderswo fort. Es ist unsere eigene Kraft, die uns in dieser Angelegenheit auf den Beinen hält. Es ist auch unsere eigene Kraft und der Wille des Volkes, der die Zerstörungspolitik der Regierung stoppen wird. Wir können keinen anderen Weg als die Solidarität wählen, um den Schmerz zu verringern. Unser wichtigstes Instrument zur Heilung der durch diese Zerstörungen verursachten Wunden ist die Solidarität. Es geht darum, zusammenzuarbeiten. Die Gesellschaft in der Türkei hat in dieser Hinsicht einen starken Willen gezeigt. Es herrscht ein echter Mobilisierungsgeist. Wir müssen erkennen, dass diese Solidarität uns nicht nur Trost, sondern auch Hoffnung inmitten all dieses Leids gibt. Solidarität ist wichtig, um Leiden zu lindern und Wunden zu heilen, aber sie ist auch unsere größte Quelle der Hoffnung, um die Zukunft auf Gerechtigkeit und Recht aufzubauen.“
„Wir werden Rechenschaft einfordern“
Die HDP sei seit dem Erdbeben ununterbrochen im Einsatz, sagte Sancar: „Seit dem ersten Tag haben unsere Kolleginnen und Kollegen ihr Bestes gegeben, um überall hinzugehen, wo sie hinkommen konnten. Aber wir tun dies nicht allein. Es gibt Freiwillige, demokratische Organisationen, Berufsorganisationen, Arbeitnehmerorganisationen, Menschen aus verschiedenen Kreisen. Wir werden diese Wunden heilen, indem wir unsere Kräfte bündeln, und wir werden auf jeden Fall Rechenschaft für diese Zerstörung verlangen. Was nun kommt, ist ebenfalls sehr wichtig, denn die Trümmerbeseitigung hat sich nun von dem Ziel, Leben zu retten, entfernt. Nach dieser Stunde ist die Möglichkeit, Menschen lebend aus den Trümmern zu holen, leider sehr, sehr gering geworden.“
„Jedes eingestürzte Gebäude ist ein Tatort“
Sancar betonte, dass alle eingestürzten Gebäude wie ein Tatort behandelt werden müssen. Die willkürliche, übereilte Beseitigung der Trümmer habe die schwerwiegende Folge, dass Beweise zerstört werden, so der HDP-Vorsitzende: „Diese Beweise sind sehr wichtig, um die Verantwortung sowohl von Einzelpersonen und Auftragnehmern als auch von Behörden und der Regierung an der Spitze aufzudecken. Gemeinsam mit Arbeits- und Berufsverbänden arbeiten unsere Rechtsabteilung, Anwaltskammern und Rechtsinstitute an diesem Thema. Jetzt müssen wir diese Bemühungen stärker koordinieren. Wir müssen die Manipulation von Beweismitteln verhindern. Wir müssen Anstrengungen unternehmen, um die Verantwortlichen für diese Zerstörung zur Rechenschaft zu ziehen. Das haben auch die Kolleginnen und Kollegen hier vor Ort festgestellt. Hier ist noch immer keine Hilfe vom Staat angekommen.“
„Die gesamte Hilfe erfolgt über Solidaritätsnetzwerke“
„Die gesamte Hilfe, die hierher kommt, wird über Solidaritätsnetze geliefert. Es ist dieser Geist der Solidarität, der uns am Leben hält und es uns ermöglicht, eine bessere Zukunft aufzubauen. Wenn wir uns die Hände reichen, werden wir den Schmerz lindern, die Wunden heilen und gemeinsam an der Zukunft einer Welt arbeiten, in der es solche Zerstörungen nicht geben wird. Wir müssen uns nicht nur zusammenschließen, um die Folgen der Zerstörung zu beheben, sondern auch, um diese auf Korruption, Profit und Plünderung basierende Ordnung zu ändern. Der Schmerz ist unser aller Schmerz. Wir sprechen allen Menschen, die ihre Angehörigen verloren haben, erneut unser Beileid aus. Wir wünschen Gottes Gnade für alle, die ihr Leben verloren haben. Den Überlebenden wünschen wir Geduld und bieten ihnen mehr Solidarität und mehr Widerstand an.“
Aus Meletî wird Mithat Sancar nach Semsûr (Adiyaman) reisen, um sich dort ein Bild zu verschaffen und an der Erdbebenhilfe teilzunehmen.