Das Krisenkoordinationszentrum der Demokratischen Partei der Völker (HDP), das nach den verheerenden Erdbeben in der Region um Gurgum (tr. Maraş) eingerichtet wurde und seit acht Tagen im Katastrophengebiet tätig ist, trat unter dem Vorsitz des Ko-Vorsitzenden Mithat Sancar in Ankara zusammen. Der Politiker fasste die bisherigen Erkenntnisse zum Erdbeben und der Bewältigung der Folgen in einer umfassenden Erklärung zusammen. Nachfolgend einige Ausschnitte der Aussagen von Sancar auf der Sitzung:
Ein schwer zu beschreibender Schmerz
„Wir erleben einen Schmerz, der sehr schwer zu beschreiben ist. Wir befinden uns in einer Zeit, in der uns die Worte im Halse stecken bleiben. Die Schreie der Menschen und ihre wachsende, gerechte Wut werden nie vergessen werden. Die Regierung versucht von ihrer ihrer Verantwortung und Inkompetenz abzulenken, indem sie das Erdbeben als ,schicksalhaften Plan' oder ,Jahrhundertkatastrophe' bezeichnen.“
Vorsichtsmaßnahmen wurden nicht rechtzeitig getroffen
„Es sind das Verhalten und die Politik der Regierungen und Staaten, die Erdbeben zu humanitären und sozialen Katastrophen machen. Mangelnde Vorsicht ist einer dieser Faktoren. Ein weiterer Faktor ist das Versäumnis, rechtzeitig Vorkehrungen zu treffen. Die nicht rechtzeitige Bereitstellung von Nothilfe und Hilfsgütern ist ebenfalls einer der Hauptfaktoren, die die Zerstörung verschlimmern. Die Gleichgültigkeit und die mangelnde Koordinierung der Verwaltung sind die Ursache für das Ausmaß der Katastrophe. Die Hauptursache für die Zerstörung ist eine Politik, die auf Rentabilität und Ausbeutung statt auf eine auf den Menschen und die Gesellschaft ausgerichtete Verwaltung setzt.“
Der Katastrophenschutz kam zwei Tage zu spät
„Es wäre absurd, von einem Katastrophenmanagementplan einer Regierung zu sprechen, die in einem Erdbebengebiet baufällige Gebäude errichtet und sich hinter sie stellt. Der konkreteste Indikator für das Fehlen eines Krisenmanagementplans ist der Zustand der Katastrophenschutzbehörde AFAD. Die Zahl des AFAD-Personals beträgt ohne Freiwillige 5.982. Ja, die Zahl der Mitarbeiter der Behörde, die für die Nothilfe für eine Bevölkerung von mehr als 85 Millionen zuständig ist, beträgt 5.982! Kann ein Katastrophenmanagementplan mit weniger AFAD-Personal als die Zahl der eingestürzten Gebäude erstellt werden? Natürlich können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von AFAD und die Freiwilligen, die vor Ort Rettungsmaßnahmen durchführen, von dieser Arbeit nicht ausgeschlossen werden. Ihre Bemühungen stehen über jeder Art von Wertschätzung. Das AFAD-Personal und die Freiwilligen müssen anerkannt werden. Das Problem liegt in der Mentalität der Verwaltung und in der Politik der Regierung. Die AFAD, die eigentlich als Notfallorganisation und Koordinierungsstelle fungieren sollte, nahm die Rettungsmaßnahmen erst nach mehr als zwei Tagen auf, was auf die Unfähigkeit und das Unvermögen einer inkompetenten Leitung zurückzuführen ist.“
DIYANET erhält 4,5 Mal mehr Geld als AFAD
„Die Maßnahmen zum Schutz vor Naturkatastrophen und Unglücksfällen sind nie in den Haushaltsvorgaben enthalten. Der Haushalt der AFAD beläuft sich auf nur acht Milliarden 75 Millionen TL bei einem Haushalt von mehr als vier Billionen TL im Jahr 2023. Der Anteil am Gesamthaushalt beträgt weniger als 0,5 Prozent. Es werden immer wieder Vergleiche angestellt, weil sie auffällig sind, lassen Sie uns denselben Vergleich anstellen. Der Haushalt des Präsidiums für religiöse Angelegenheiten ist 4,5 Mal so hoch wie der Haushalt von AFAD. Dieses Erdbeben hat gezeigt, dass die AKP/MHP-Regierung nicht auf Katastrophen vorbereitet ist, sondern eine politische Mentalität und Präferenzen hat, die die zerstörerischen Auswirkungen von Katastrophen um ein Vielfaches verstärken.“
Chaos bei der Verteilung der Hilfe
„Heute ist der achte Tag der Erdbebenkatastrophe. Leider haben nach offiziellen Angaben mehr als 30.000 Menschen ihr Leben verloren. Es gibt noch viele eingestürzte Gebäude, die noch nicht durchsucht wurden. Es gibt Orte und Dörfer, die noch nicht besucht wurden. Wir haben Zehntausende von Menschen unter den Trümmern. Mitten in diesem Winter sind die Menschen ihrem Schicksal in der Kälte überlassen. Der Bedarf an Zelten, Öfen, Decken usw. wird auf staatlicher und Regierungsebene nicht ausreichend gedeckt. Es herrscht ein großes Chaos und Durcheinander bei der Verteilung der Hilfe. Die Menschen in der Erdbebenregion versuchen, durch die gesellschaftliche Solidarität und Hilfe zu überleben.“
Es gibt auch etwas, das nicht zusammenbricht: Menschlichkeit
„Es gibt eine große Zerstörung, aber es gibt auch etwas, das nicht zerstört wird: Menschlichkeit. Sie steht aufrecht. Die Zivilgesellschaft, Millionen von Freiwilligen, Einzelpersonen, Intellektuelle, Kunstschaffende, Gewerkschaften, Geschäftsleute, politische Parteien und lokale Gemeinden mobilisieren für die Hilfe. Aus dieser großen Zerstörung heraus zeigt sich wieder einmal große Menschlichkeit. Eine solche sinnvolle Solidarität ist der grundlegendste Weg, um unsere Wunden zu heilen. Mit dieser Solidarität werden wir unseren Schmerz lindern und unsere Wunden heilen.“
3000 Aktive koordinieren die Erdbebenhilfe der HDP
„Als HDP haben wir sofort am ersten Tag des Erdbebens unsere zentralen Krisenkoordinationszentren in Ankara und Diyarbakır [ku. Amed] eingerichtet. Darüber hinaus haben wir unsere Wahlkoordinationszentren in den Provinzen und Bezirken, in denen wir organisiert sind, in lokale Krisenkoordinationsbüros für Erdbeben umgewandelt, um in den Erdbebenregionen eine effektive Arbeit zu leisten. Gegenwärtig koordinieren mehr als 3000 unserer Kolleginnen und Kollegen die Arbeit Tausender Freiwilliger. Darüber hinaus sind unsere Fraktion und unsere Jugend- und Frauenräte in ihrer Gesamtheit vor Ort. In den sechs Provinzen, in denen die Verwüstungen nach dem Erdbeben am schwersten waren, arbeiten unsere Abgeordneten ständig und abwechselnd mit unserer Bevölkerung daran, die Wunden zu heilen und das Leid zu lindern.“
60.000 Anfragen an die Koordinierungsstelle
„Bis heute sind etwa 60.000 Anfragen bei unserer Koordinierungsstelle eingegangen. Als Ergebnis wurden etwa 300.000 separate Mitteilungen gemacht. Wir haben in allen Bereichen mobilisiert, von der Meldung an AFAD, wo sich Menschen unter den Trümmern befinden, bis hin zur Organisation und Lieferung von Nothilfe in die Erdbebengebiete. Unsere Kolleginnen und Kollegen haben sich persönlich an den Rettungsaktionen beteiligt und tun dies auch weiterhin. Wir versuchen, die Stimme jeder Person, die uns erreicht, sofort an jede notwendige Stelle weiterzuleiten. Wir werden diese Bemühungen fortsetzen. Es wurde Kontakt zu 12.322 Katastrophenopfern aufgenommen, die aus den Erdbebengebieten in Krankenhäuser in Ankara, Mersin, Urfa, Istanbul und Kayseri transportiert und dort behandelt und entlassen wurden. Lieferungen und materielle Hilfen werden weiterhin koordiniert.“
617 Hilfslieferungen ins Erdbebengebiet
„Bislang haben wir 617 Fahrzeuge, darunter Lastwagen und Lieferwagen, in die betroffenen Provinzen, Bezirke und Dörfer geliefert. 345 Familien konnten Unterkünfte vermittelt werden. Wir haben innerhalb der Zentralen Krisenkoordination vier separate Ausschüsse eingerichtet: Technik, Transport und Unterbringung, Kommunikation mit AFAD und Kommunikation mit den Provinzen. Die über die von uns eingerichteten Hotlines eingehenden Informationen werden von unseren Kolleginnen und Kollegen bestätigt und an AFAD und die Krisenkoordinationsteams der Provinzen weitergeleitet, um die Bereitstellung von Hilfe zu gewährleisten. Unsere Leitungen sind 24 Stunden am Tag besetzt.“
Die Trümmer der Regierung sind auf unser Volk gestürzt
„Bei dem Erdbeben stürzten nicht nur marode Gebäude auf die Menschen ein. Die verfaulte Ordnung und die korrupte Macht sind über unser Volk zusammengebrochen. Die Trümmer der monistischen AKP/MHP-Regierung, die nichts anderes kennt als Krieg, Plünderung, Krieg, Profit und Lügen, sind auf das Volk gestürzt. Wenn die Einrichtungen des Staates und der Öffentlichkeit dem Volk in solchen Zeiten nicht zur Verfügung stehen, wann werden sie es dann tun?“
Grenzübergänge nach Syrien müssen geöffnet werden
„Auch Syrien ist von dem Erdbeben betroffenen, vor allem die Regionen Efrîn, Aleppo, Latakia und Idlib sind von der Zerstörung unmittelbar betroffen. Aufgrund des Krieges in dieser Region und der Besatzungsposition von Bandengruppen findet der Überlebenskampf nach dem Erdbeben leider unter sehr harten Bedingungen statt. Es zeichnet sich eine Situation ab, die noch ernster ist als das ernste Bild in unserem Land. Zuvor sind Hilfsgüter über den türkischen Grenzübergang Cilvegöz [Bab al-Hawa nach Idlib] transportiert worden, doch aufgrund der durch das Erdbeben verursachten Zerstörung der Straßen gaben die Vereinten Nationen bekannt, dass sie die Hilfslieferungen bereits am ersten Tag eingestellt haben. Danach forderten viele Länder die Türkei auf, ihre Grenztore für die rasche Lieferung humanitärer Hilfe zu öffnen. Wie wir wissen, sind alle Grenztore der Türkei zur Autonomen Verwaltung von Nord- und Ostsyrien geschlossen. Das Hochkommissariat für Flüchtlinge der Vereinten Nationen gab am 10. Februar bekannt, dass 5,3 Millionen Syrer durch das Erdbeben obdachlos geworden sind. In diesem Zusammenhang ist die ununterbrochene Bereitstellung von Hilfe für Syrien von entscheidender Bedeutung. Internationale Hilfsorganisationen fordern die Beseitigung von Hindernissen bei der Bereitstellung von Hilfsgütern. In der Erdbebenkrise, in der sich eine schwere humanitäre Tragödie abspielt, müssen die Grenztore sofort geöffnet werden. Das gilt für alle Grenzübergänge, und insbesondere das Mürşitpınar-Grenztor nach Kobanê muss für humanitäre Hilfe geöffnet werden."
KCK-Entscheidung zur Einstellung militanter Aktivitäten
„Die Entscheidung der KCK, nach dem Erdbeben untätig zu bleiben, und ähnliche Entscheidungen sind wichtig. In einem Umfeld, in dem einerseits ein intensiver Krieg geführt wird und andererseits alle Einnahmen in den Krieg fließen, ist eine solche Entscheidung, die den Weg für die Einstellung der Feindseligkeiten ebnet, wichtig. Selbst wenn die Solidarität aus einer Katastrophe heraus entsteht, eröffnet sie neue Möglichkeiten und neue Wege. Wir möchten bei dieser Gelegenheit noch einmal den Wert von Dialogen und Verhandlungen hervorheben. Die Kriegs- und Sicherheitspolitik von Staat und Regierung muss in dieser Zeit ein Ende haben. Wir betrachten dies als einen wichtigen Schritt für die kommende Zeit."