HDP-Krisenkoordination: „Kein Schicksal, sondern Mord“

Die HDP hat einen Krisenstab eingerichtet und ist mit 2000 Freiwilligen im Erdbebengebiet im Einsatz. Der HDP-Politiker Mahfuz Güleryüz informierte in Ankara über die Lage und sagte, dass sich immer noch Tausende Menschen unter den Trümmern befinden.

Die Demokratische Partei der Völker (HDP) hat aufgrund des Erdbebens in der Türkei ein Krisenkoordinationszentrum eingerichtet und auf einer Pressekonferenz in Ankara über die bisherige Arbeit und die Defizite vor Ort informiert. An der Pressekonferenz am Donnerstagvormittag in der Parteizentrale nahmen Mahfuz Güleryüz, Emirali Türkmen, Habip Eksik und Sultan Özcan teil.

Güleryüz berichtete über die Arbeit des Krisenkoordinationszentrums: „Wir arbeiten ununterbrochen 24 Stunden am Tag. Unsere Krisenkoordinierungsstellen vor Ort sind pausenlos im Einsatz und rund um die Uhr telefonisch erreichbar. Wir versuchen, alle zu erreichen, die in den Erdbebengebieten Hilfe benötigen, und informieren die Katastrophenschutzbehörde AFAD unverzüglich über den Bedarf.“

Aufgrund unzureichender Rettungsteams befinden sich laut Güleryüz immer noch Zehntausende Menschen unter den Trümmern der eingestürzten Gebäude. „Wir sind wütend. Wir spüren die Wut unseres Volkes in unseren Herzen", sagte Güleryüz und betonte: „Die Interventionen sind unzureichend, die Menschen wurden ihrem Schicksal überlassen."

„Die Regierung lügt“

Weiter erklärte Güleryüz: „Was in der Erdbebenregion geschieht, steht im krassen Gegensatz zu dem, was die AKP/MHP-Regierung sagt. Die Realität sieht ganz anders aus, sie ist besorgniserregend und entsetzlich. Es gibt Bezirke, Dörfer und Siedlungen, die noch nicht erreicht wurden und in denen noch nicht einmal die geringste Hilfe geleistet wurde. Bei unseren Krisenkoordinationsstellen gehen viele, viele Anrufe ein. Unsere Kolleginnen und Kollegen sind ständig am Telefon. Nach den uns vorliegenden Informationen befinden sich Tausende von Menschen unter den Trümmern. Leider steigt die Zahl der Todesopfer mit jeder Minute, die verstreicht. Die Interventionen sind völlig unzureichend und die Menschen unter den Trümmern buchstäblich ihrem Schicksal überlassen.

Aufbau von Solidaritätsnetzwerken

Wir stellen fest, dass AFAD hier sehr unzureichend ist. Neben unseren Krisenkoordinationseinheiten und Delegationen, die in das Erdbebengebiet gereist sind, organisieren wir auch direkte Hilfe vor Ort: Unsere Kolleginnen und Kollegen und die Parteijugend beteiligen sich gemeinsam mit der Bevölkerung an aktiven Rettungsarbeiten, um Menschen aus eingestürzten Gebäuden zu befreien. Wir haben eine Nothilfeliste für die im Erdbebengebiet benötigten Materialien erstellt, die wir über unsere Social-Media-Accounts nachdrücklich und weithin bekannt gemacht haben und weiterhin bekannt machen werden. Infolge dieser Ankündigungen haben wir Solidaritätsnetze aufgebaut, um die Wunden des Erdbebens gemeinsam zu heilen. Wir bauen dieses Netz mit Unterstützung aus dem In- und Ausland weiter aus.

„Das Ergebnis falscher Städteplanung und fataler Profitgier“

Bisher haben Hunderte von Lastwagen und Transportern aus unserem Hilfszentrum das Erdbebengebiet erreicht oder sind auf dem Weg. Wir möchten der Öffentlichkeit mitteilen, dass wir mit einem Stab von zweitausend Freiwilligen vor Ort arbeiten. Vom ersten Moment des Erdbebens an wurden AFAD und den örtlichen Behörden Hunderte Berichte über Einstürze und Todesopfer übermittelt. Wir haben es mit einer Regierung zu tun, die die Zivilgesellschaft und die politischen Parteien nicht einbezieht und alles zentralisieren will, aber nicht in der Lage ist, dies zu tun. Wir müssen eine klare und unzweideutige Wahrheit zum Ausdruck bringen: Die Regierung ist unter den Trümmern gefangen. Wir haben es mit einer Regierung zu tun, die den Tod als Schicksal betrachtet und die Öffentlichkeit bedroht. Die weltweiten Erfahrungen zeigen uns, dass Naturkatastrophen kein Schicksal sind. Die Todesfälle, die nach Katastrophen auftreten, sind das Ergebnis einer falschen Urbanisierung und eines auf Profit basierenden Systems. Wir akzeptieren nicht, dass sie jetzt kommen und sagen, was können wir tun, es ist halt Schicksal.

Kein Schicksal, sondern Mord“

Ist es Schicksal, die eingenommenen Erdbebensteuern zu verschleudern und in mehrspurige Straßen zu investieren? Gehört es zum Schicksal, nicht auf die Wissenschaft zu hören und keine Vorkehrungen gegen eine offensichtliche Katastrophe zu treffen? Ist es schicksalhaft, Bauaufträge an bevorzugte Auftragnehmer zu vergeben und Gebäude an ungeeigneten Orten zu errichten? Gehört es zum Schicksal, in Kanonen und Panzer zu investieren und Milliarden Dollar für den Krieg auszugeben, aber zu verschwinden, wenn es um die Beseitigung der Trümmer geht? Ist es Teil des Schicksals, Einkaufszentren an Orten zu bauen, die als Erdbebengebiete ausgewiesen sind? Nein, eine Million Mal nein! Deshalb sagen wir, dass dies kein Schicksal, sondern Mord ist.

„Wir können diese Wunde gemeinsam heilen“

Alle unsere Bemühungen zielen darauf ab, neue Verluste zu verhindern und diese dunklen Tage durch wachsende Solidarität gemeinsam zu überwinden. Wir können diese Wunde gemeinsam heilen. Die Ausrufung des Ausnahmezustands ist ein offenes Eingeständnis, dass der Staat unter den Trümmern begraben ist. Das Erdbeben hat uns gezeigt, wie wichtig die lokale Demokratie und die Dezentralisierung sind. Die zentralisierte Staatsstruktur ist zusammengebrochen.

Unsere Aufgabe ist es heute, die sozialen Solidaritätsnetze gegen die profitorientierte Wirtschaft und rücksichtslose Ordnung zu stärken. Gestern haben wir eine Solidaritätskampagne unter dem Motto ,Jetzt ist die Zeit für Solidarität' gestartet. Unser Ziel ist es, Bürgerinnen und Bürger zusammenzubringen, die sich mit den Erdbebenopfern solidarisch zeigen und eine langfristige Brücke zwischen ihnen bilden wollen. Wir versuchen, mit unseren bloßen Händen und unseren vorhandenen Arbeitskräften zurechtzukommen.“

Vorrangige Probleme: Unterkünfte, Hunger, Leichen

Auf die Frage nach den vorrangigen und dringenden Probleme, die im Krisenzentrum der HDP eingehen, antwortete Güleryüz: „Die vorrangigsten Themen sind derzeit das Problem der Unterkünfte, das Problem des Hungers und seit gestern leider auch das Problem der Abholung der Leichen. Das ist ein großes Problem, das vor uns liegt. Wir versuchen, diese Probleme vor Ort mit etwa zweitausend Menschen zu lösen. Aber wir haben nicht viele Mittel und Kräfte, um die Trümmer zu beseitigen und den Schmerz der Familien zu lindern, die auf ihre Leichen warten. Hierfür werden Baumaschinen und technische Geräte benötigt. Wir versuchen, diese mit unseren bloßen Händen und den vorhandenen Arbeitskräften zu bewältigen. Aber lassen Sie es mich noch einmal sagen: Wir versuchen, diese Arbeiten sowohl vor Ort als auch in unserer Zentrale mit einer großen Armee von Freiwilligen zu verfolgen. Wir führen diese Arbeit nicht nur gemeinsam mit unseren Parteimitgliedern und Mitarbeitern durch, sondern auch mit anderen NGOs und verschiedenen politischen Parteien. Berufsverbände und Gewerkschaften wie TMMOB, KESK und DISK sind vor Ort und wir versuchen, diese Arbeit mit ihnen zu koordinieren."