In der Türkei tobt nach der Erdbebenkatastrophe vom 6. Februar ein rassistischer Hassdiskurs gegen Geflüchtete aus Syrien. Die Hetze ist nicht neu und wird von der Erdogan-Regierung bereits seit längerer Zeit populistisch angeheizt. Insbesondere in der Provinz Hatay mit ihrer kosmopolitischen Bevölkerung ist es zu Gewaltexzessen gekommen, an denen neben staatlichen Sicherheitskräften dubiose Gruppierungen mit nationalistischer und dschihadistischer Ausrichtung beteiligt sind. In digitalen Netzwerken werden Hasskommentare gegen syrische und afghanische Geflüchtete verbreitet und Videos von brutalen Angriffen veröffentlicht.
Veli Saçılık, Ko-Sprecher der HDP-Kommission für Migration und Flucht, hat sich gegenüber ANF zu der Situation geäußert: „In Hatay gibt es viele syrische Geflüchtete. Unseren Kollegen vor Ort zufolge lebten sie in den schlimmsten und am stärksten zerstörten Häusern und viele wurden verschüttet. Gleichzeitig wissen wir aber auch, dass die Überlebenden sich an den Rettungsarbeiten beteiligt haben."
Saçılık stellte fest, dass hier Gegenpropaganda betrieben wird, um die AKP und „den Palast“ aus ihrer Verantwortung zu entlassen: „Es wird ein Umfeld der Desinformation geschaffen. Mit dem Diskurs ,Migranten plündern Häuser' soll die Wut der Gesellschaft umgeleitet werden. Es soll eine Atmosphäre geschaffen werden, in der Rassismus und sogar Folter legitimiert werden, die AKP Hilfsgüter blockieren kann, darunter auch Lastwagen der HDP, und die Menschen der Gnade religiöser Vereine und Stiftungen ausgeliefert sind.“
Saçılık betonte, dass die AKP und der Palast in den letzten 20 Jahren vor allem geplündert hätten: „Sie sind die Ursache für diese Zerstörung. All diese Entwicklungen, insbesondere die Hassreden und Lynchangriffe gegen Geflüchtete, sind ein Mittel, um die Verbrechen der AKP zu vertuschen und die Verantwortung für die Zerstörung auf Menschen abzuwälzen, die nichts damit zu tun haben und sogar Opfer davon sind. In den Nachrichten wird berichtet, dass die Migranten Zelte und Hilfsgüter mitnehmen. Wir haben unsere Kolleginnen und Kollegen von hier persönlich in die Region geschickt, und sie haben uns erzählt, dass es in den ersten fünf Tagen gar keine Zelte gab. In den ersten fünf Tagen gab es keine angemessene Hilfe. Die Menschen, die dorthin gingen, um zu helfen und zu unterstützen, wurden von der Katastrophenschutzbehörde AFAD und der Polizei weggeschickt. Ihnen wurde gesagt: ,Geht weg von hier, geht zurück nach Hause, hier gibt es nichts zu tun.' Bei den Berichten über Plünderungen handelt es sich um gezielt gestreute Gerüchte."
Entgegen der Nachrichtenlage sei es für Geflüchtete höchst problematisch, Zugang zu Hilfsleistungen zu erhalten, erklärte Saçılık und sagte weiter: „Wenn sie sterben, werden wir nicht einmal wissen, dass sie tot sind, weil die meisten von ihnen keinen Personalausweis haben. Die Lage ist sehr ernst. Menschen liegen unter den Trümmern und Bulldozer fahren in die zerstörten Gebäude ein, um die Trümmer abzutragen. Da wir nicht wissen, wer diese Person ist und ob sie tot ist oder nicht, können wir sie nicht registrieren. Diese Menschen leben ein Leben im Nichts und werden gedemütigt."
Veli Saçılık wies außerdem darauf hin, dass es in der Region Hatay viele Mitglieder der sogenannten „Freien Syrischen Armee“ (FSA) und andere Banden gibt, die sogar mit dem Staat zusammenarbeiten: „Aus irgendeinem Grund sind die Reaktionen nie gegen diese Leute gerichtet. Wir wissen, dass die Hilfsgüter, die hier für Syrien durchkommen, von ihnen geplündert werden. Wir erhalten immer wieder derartige Nachrichten. Aus irgendeinem Grund gibt es keine Reaktion auf das, was diese salafistischen Banden in Syrien tun, und auf die Tatsache, dass sie unter staatlichem Schutz in Hatay unterwegs sind und dort jede Art von Gesetzlosigkeit ausüben, die sie wollen. Die Reaktion richtet sich gegen Menschen, die dort arbeiten und um ihre Existenz und ihr Leben kämpfen."