Im Irak sind fünf Männer aus Camp Mexmûr festgenommen worden. Die vier Brüder und ihr Schwager befanden sich zum Arbeiten auf dem Weg nach Bagdad, als sie an einem Kontrollpunkt am Rande der Fernstraße 1 Richtung Basra festgesetzt wurden, teilte ihr Rechtsbeistand mit. Die Festnahmen erfolgten nach Angaben bereits am vergangenen Mittwoch. Den Betroffenen werde PKK-Mitgliedschaft vorgeworfen. Wo genau sie festgehalten werden, ist unklar.
Bei den Festgenommenen handelt es sich um Adem, Mazlum, Cuma und Amed Yıldıztan sowie Rêber Talî. Sie gehören zu den tausenden Bewohnerinnen und Bewohnern des Camps etwa 60 Kilometer südwestlich von Hewlêr (Erbil), die vom UNHCR einen Flüchtlingsstatus erworben haben. Allerdings leistet das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen dem Lager bereits seit Jahren keine Hilfe mehr. Seit Juli 2019 unterliegt Mexmûr zudem einem strikten Embargo der PDK, die in Südkurdistan die Regierung dominiert. Selbst die Corona-Pandemie konnte die zuständigen Behörden nicht wachrütteln, die Blockade aufzuheben. Unter den schwierigsten Voraussetzungen kämpfen die Menschen seitdem gegen die Mittellosigkeit und um ihr Überleben.
Einigen Menschen aus dem Camp, darunter auch den Gebrüdern Yıldıztan und ihrem Schwager Rêber Talî, gelang es, die Blockade zu umgehen und Mexmûr über einen provisorischen Ausgang Richtung Qereçox zu verlassen. Nur auf diese Weise ist es möglich, außerhalb des Lagers Geld zu verdienen und somit für den Lebensunterhalt der Familien aufzukommen. Die Route ist allerdings lebensgefährlich: Statt den direkten Weg nach Bagdad und andere Städte zu nehmen, müssen die Menschen die Straße Richtung Nordosten befahren – vorbei am Berg Qereçox, auf dem sich eine Basis der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) befindet.
Der IS-Stützpunkt liegt auf dem Osthang des Berges, auf den sich Dschihadisten nach dem militärischen Sieg über die Miliz im Frühjahr 2019 aus Nord- und Ostsyrien zurückgezogen hatten. Schätzungen gehen von etwa 150 Söldnern auf dem Qereçox aus, die neben der Gemeinde Mexmûr auch das gleichnamige Flüchtlingslager im Visier haben. Obwohl erst im vergangenen Mai Peschmerga der südkurdischen Regionalregierung und irakische Sicherheitskräfte in Mexmûr ein gemeinsames Koordinierungszentrum für Sicherheitseinsätze eröffneten, agieren die Dschihadisten oftmals weitestgehend uneingeschränkt. Nicht selten kommt es zu Attacken und Entführungen von Zivilist:innen. Zwischen August und September waren sechs Menschen aus Mexmûr von der Miliz verschleppt worden, als sie in einen als Kontrollpunkt der irakischen Armee getarnten Hinterhalt des IS gerieten.
Anwaltsbesuche werden verweigert
Sultan Yıldıztan forderte derweil die irakische Zentralregierung in Bagdad auf, ihre Söhne und Ehemann ihrer Tochter umgehend freizulassen. „Die PDK hindert uns daran, Mexmûr zu verlassen. Gelingt es uns doch, werden wir festgenommen. Diese Methode ist uns aus Hewlêr bereits bekannt. Warum ziehen jetzt auch die irakischen Sicherheitsbehörden nach?“, will Yıldıztan wissen. Die Begründung für die Festnahmen, ihre Angehörigen gehörten möglicherweise der PKK an, sei absurd und „an den Haaren herbeigezogen“. „Wir sind Flüchtlinge. Das weiß der Irak und auch die Regierung von Südkurdistan. Dennoch werden wir kriminalisiert. Meine Kinder haben sich nichts zu Schulden kommen lassen und wurden grundlos festgesetzt. Sogar ihre Anwälte dürfen sie nicht sehen.“ Sultan Yıldıztan appelliert an Menschenrechtsorganisationen und die Vereinten Nationen, sich für die Freilassung ihrer Söhne einzusetzen.
Camp Mexmûr
Im Flüchtlingslager Mexmûr, das seit seiner Gründung offiziell unter dem Schutz des Flüchtlingswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) steht, leben heute etwa 13.000 Menschen. Die meisten von ihnen waren in den 1990er Jahren aufgrund der Repression des türkischen Staates und der Politik der verbrannten Erde gezwungen, ihre Dörfer in der Botan-Region in Nordkurdistan zu verlassen. Nach einer mehrjährigen Odyssee und Aufenthalten in verschiedenen Camps haben sie 1998 am Rand der Wüste das Lager Mexmûr gegründet. Die Bevölkerung bildet damit die größte kurdische Flüchtlingsgemeinschaft weltweit. Heute ist Mexmûr mit seinen tausenden Kindern, die dort in die Staatenlosigkeit geboren wurden, eine Kleinstadt und trotz Armut, stetiger Bedrohung und Angriffen – ob durch die Türkei oder den IS – ein Ort des Friedens und der kollektiven Selbstbestimmung.