KCK: Evîn Goyî war das Hauptziel des Anschlags von Paris

Die KCK hat Frankreich erneut aufgefordert, große Anstrengungen zu unternehmen, um die Pariser Morde umfassend aufzuklären. Die Organisation glaubt nicht an ein Verbrechen eines verwirrten Einzeltäters, sondern sieht den Anschlag als geplanten Terrorakt.

Die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) hat Frankreich erneut mit Nachdruck aufgefordert, große Anstrengungen zu unternehmen, um die Morde von Paris umfassend aufzuklären und alle Verantwortlichen vor Gericht zu bringen. Der Dachverband der kurdischen Bewegung glaubt nicht an ein Verbrechen eines verwirrten, rechtsextremen Einzeltäters, wie es in Medienberichten immer wieder heißt, sondern sieht den Anschlag als geplanten Terrorakt und eindeutige Fortsetzung des Massakers vom 9. Januar 2013, bei dem Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez von einem Auftragsmörder des türkischen Geheimdienstes hingerichtet wurden – ebenfalls in Paris.

Am Freitag hatte der Franzose William M. das Ahmet-Kaya-Kulturzentrum sowie zwei kurdische Geschäfte in der migrantisch geprägten Rue d’Enghien im zehnten Pariser Arrondissement angegriffen und drei Menschen ermordet: Emine Kara alias Evîn Goyî, M. Şirin Aydın, der unter seinem Künstlernamen Mîr Perwer bekannt war, und der Aktivist Abdurrahman Kızıl. Drei weitere Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Der Todesschütze, der erst kürzlich aus dem Gefängnis entlassen wurde, konnte von Mitarbeitern eines angegriffenen Barbiershops überwältigt und an die Polizei übergeben werden. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprach bereits früh von einem absichtlichen Angriff auf die kurdische Community: „Die Kurden in Frankreich waren das Ziel eines niederträchtigen Angriffs mitten in Paris.”

Auch der Täter selbst soll im Verhör geäußert haben, dass er die kurdische Gemeinde gezielt habe angreifen wollen. Seit gestern befindet sich der Mann in der psychiatrischen Krankenstation der Polizeipräfektur, weil sein Gesundheitszustand laut einem Arzt „nicht mit einem Polizeigewahrsam vereinbar” sei. Der kurdische Dachverband in Frankreich (CDK-F) hatte sich am Samstag empört über die gesundheitlich begründete Entlassung des Todesschützen aus dem Polizeigewahrsam gezeigt und vor einer Relativierung der politischen Motivation gewarnt. „Aus unserer Sicht ist der politische und terroristische Hintergrund dieser Tat vollkommen unbestritten und kann durch nichts relativiert werden“, hatte es geheißen.

Ähnlich äußerte sich nun auch die KCK. Als Hauptziel des zweiten Dreifachmords in der französischen Hauptstadt sieht die Organisation die kurdische Revolutionärin Emine Kara. Die 48-Jährige sei Mitglied des Exekutivrats der KCK gewesen, heißt es in einer Stellungnahme, in der Kara sowie die beiden anderen Todesopfer M. Şirin Aydın und Abdurrahman Kızıl als „Gefallene der Revolution” gewürdigt werden. Weiter heißt es: „Unsere Freundin Evîn schloss sich 1988 der kurdischen Befreiungsbewegung an und kämpfte seither für die Freiheit des Volkes von Kurdistan. Sie nahm in vielen Bereichen am Widerstand gegen den genozidären und kolonialistischen Feind teil und widmete diesem Kampf ihre gesamte Existenz und ihr Leben. Sie war auch eine Pionierin des Frauenbefreiungskampfes. Sie leistete große Beiträge und Anstrengungen bei der Entwicklung des Bewusstseins und Willens zur Freiheit der Frau. Darüber hinaus betrieb sie größte Bemühungen und übernahm wichtige Aufgaben beim Aufbau einer autonomen Frauenarmee wahrgenommen.

Hevala Evîn hat einen großen Beitrag zur Entwicklung der Revolution in Rojava geleistet. Indem sie am Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat [IS] teilnahm und eine entscheidende Rolle bei der Niederlage der Terrormiliz spielte, hat sie nicht nur dem kurdischen Volk, sondern der gesamten Menschheit einen großen Dienst erwiesen. Sie hat auf der Grundlage der Frauenbefreiung erfolgreich Widerstand gegen die Brutalität der reaktionären IS-Dschihadisten geleistet. Sie besiegte den frauenfeindlichen IS und ließ uns alle teilhaben an diesem ehrenvollen Triumph. Hevala Evîn bezog ihr Bewusstsein, ihre Kraft und ihre Entschlossenheit aus der Frauenbefreiungslinie von Rêber Apo [Abdullah Öcalan], ihrem Engagement für das kurdische Volk und ihrer Liebe und tiefen Verbundenheit für die Freiheit der Frau.

Im Kampf gegen den IS wurde unsere Freundin Evîn verwundet. Zur Behandlung ihrer gesundheitlichen Beschwerden ging sie nach Europa. Dort setzte sie ihren Widerstand fort. Von dem Moment an, in dem sie sich den Reihen der Freiheit anschloss, bis zu dem Moment, in dem sie den Tod einer Gefallenen erlitt, hat Evîn Goyî jeden Augenblick ihres Daseins gekämpft. Das kurdische Volk, insbesondere die Frauen Kurdistans, kannten sie sehr gut. Die gegenseitige Zuneigung und der tiefe Bund zwischen ihnen zeigte sich unter anderem daran, dass das kurdische Volk von überall nach Paris strömte, um Hevala Evîn und unseren beiden anderen Gefallenen ihre Achtung zu erweisen. Dies war ein sehr bedeutsamer Akt.

Es ist unbestritten, dass das Hauptziel dieses Angriffs unsere Freundin Evîn war. Der genozidal handelnde Kolonialstaat Türkei und dessen faschistische AKP/MHP-Regierung versuchen durch die Niederschlagung des kurdischen Widerstands und die Bekämpfung seiner Führungspersönlichkeiten, den IS zu stärken und sein endgültiges Ende zu verhindern. Das Regime aus AKP und MHP unterscheidet sich in der Mentalität in keinster Weise vom IS. Es ist nicht nur Unterstützer dieser Terrororganisation, sondern hat sie von Anfang an gelenkt und geführt. Wir sind fest davon überzeugt, dass Hevala Evîn vom AKP/MHP-Regime und dem MIT [türkischer Geheimdienst] aufgrund ihres Kampfes gegen den IS und ihrer entscheidenden Rolle bei dessen militärischer Niederlage ins Visier genommen worden ist. Dieser Sache sind sich das Volk sowie die Freundinnen und Freunde Kurdistans klar, deshalb ist ihr Handeln seit diesen Morden mit einem starken Solidaritätsgefühl verbunden.

Bis jetzt haben der französische Staat und die zuständigen Behörden jedoch nicht versucht, unsere Bedenken und die unseres Volkes zu zerstreuen und die Wahrheit ans Licht zu bringen. Leider besteht die Vorgehensweise des französischen Staates darin, das Massaker zu relativieren, seinen Charakter zu verdrängen, es zu vertuschen und es als einen individuellen Angriff darzustellen. Der französische Staat sollte nicht versuchen, die Wahrheit zu vertuschen, indem er dieses Massaker als individuellen, rassistischen Anschlag darstellt. Ein solches Vorgehen wurde bereits im Zusammenhang mit dem Massaker vom 9. Januar 2013 demonstriert. Die Wahrheit wurde unter den Teppich gekehrt, obwohl die Täterschaft des türkischen Staates und des MIT offensichtlich ist. Wenn dieses Vorgehen jetzt wiederholt wird, kommt dies eindeutig einer Unterstützung des türkischen Faschismus, der antikurdischen Vernichtungspolitik des AKP/MHP-Regimes und des IS gleich. Eine andere Erklärung für die Haltung, die Täterschaft eines Staates, der den IS unterstützt und für seine eigenen Interessen benutzt, zu leugnen, kann es im Hinblick auf den Mord an einer Anti-IS-Kämpferin nicht geben.

Der französische Staat und seine Regierung müssen die Massaker von Paris aufarbeiten und die Wahrheit ans Licht bringen. Genau wie der Dreifachmord vom 9. Januar 2013 wurde auch der Anschlag vom 23. Dezember 2022 geplant verübt. Das faschistische AKP/MHP-Regime, der MIT und andere Geheimdienste, die den türkischen Staat unterstützen, sind zweifellos involviert. Es ist inakzeptabel, dies nicht anzuerkennen und keine Anstrengungen zu unternehmen, um die wahren Mörder aufzudecken. Wir appellieren daher erneut an den französischen Staat und die französische Regierung, den richtigen Weg einzuschlagen und die Wahrheit ans Licht zu bringen. Dieses Massaker wurde von einem faschistischen Regime verübt, das den IS unterstützt und lenkt. Diese Realität muss in all ihren Dimensionen aufgedeckt und offenbart werden.

Das kurdische Volk und seine internationalen Freund:innen haben die richtige Haltung eingenommen, indem sie ihre Proteste gegen dieses Massaker mit Nachdruck zum Ausdruck brachten. Diese Proteste sollten jedoch nicht mit Gewalt verbunden sein, und Verhaltensweisen, die Anlass zu Provokationen geben könnten, sollten vermieden werden. Unser Volk und unsere Weggefährt:innen sollten daher darauf achten, dass ihre Proteste auf demokratischer Grundlage zum Ausdruck kommen.“