Iran erhöht Druck auf kurdische Anwältinnen und Anwälte

Die iranische Justiz erhöht den Druck auf Anwältinnen und Anwälte aus der ostkurdischen Stadt Bokan, die die Rechte von Jina Mahsa Amini und ihrer Familie vertreten haben.

Das iranische Regime erhöht den Druck auf Anwältinnen und Anwälte, die nach dem gewaltsamen Tod von Jina Mahsa Amini gegen staatliche Repression protestiert und ihre Bereitschaft zur Übernahme der Rechtsvertretung für die Familie der Kurdin geäußert haben. Das in Paris ansässige Kurdistan Human Rights Network (KHRN) berichtet, die Staatsanwaltschaft in Bokan habe mehr als fünfzig Juristinnen und Juristen aus der Stadt zu einem Verhör vorgeladen. Sie würden beschuldigt, im Netz strafbare Inhalte veröffentlicht und damit den allgemeinen Grundsätzen des öffentlichen Rechts und der Moral zuwidergehandelt zu haben. Sollte er zu einem Prozess kommen, drohen Haftstrafen.

Die Vorwürfe stehen im Zusammenhang mit einem offenen Brief, den insgesamt fünfundfünfzig Anwält:innen aus dem ostkurdischen Bokan unterzeichnet hatten. Die Erklärung war bereits wenige Tage nach Bekanntwerden des Todes von Jina Mahsa Amini veröffentlicht worden. Die 22-Jährige war am 13. September von der Sittenpolizei in Teheran festgenommen und auf eine Wache verschleppt worden, wo sie wegen eines angeblichen Verstoßes gegen die Kleiderordnung körperliche Gewalt erfuhr. Sie lag zweieinhalb Tage im Koma, mit Verletzungen am Kopf und beatmet über einen Tubus. Am 16. September wurde die offiziell für tot erklärt. Ihr Tod löste in Iran die größte Protestbewegung seit Jahrzehnten aus.

„Angesichts der beklagenswerten wirtschaftlichen Lage und dem Bankrott sozialer Werte hat der verdächtige und tragische Tod von Jina Mahsa Amini nicht nur die Gefühle der Öffentlichkeit und der Gesellschaft verletzt, sondern auch eine Welle der Besorgnis über das rechtswidrige Verhalten der verantwortlichen Institutionen ausgelöst. Infolgedessen wurde der Gesellschaft im Allgemeinen und den Frauen im Besonderen das Gefühl der Sicherheit genommen“, schrieb die Anwaltschaft Bokans in ihrer Erklärung vom 18. September. Und weiter: „‚Sicherheit‘ als Hauptelement des öffentlichen Wohlergehens wurde in zahlreichen nationalen und internationalen Gesetzen wiederholt hervorgehoben, was ihre Bedeutung als eines der grundlegendsten Bedürfnisse des menschlichen Lebens zeigt.

Aber blinde Gewalt, die unter außergesetzlichen Umständen, auf verschiedenen Ebenen und an verschiedenen Orten ausgeübt wird, ohne dass die Täter strafrechtlich verfolgt werden, hat bei Frauen und in der Öffentlichkeit Angst und Schrecken ausgelöst. In diesem Zusammenhang verurteilen wir, eine Gruppe von Anwälten in der Stadt Bokan, unter Bekundung unseres Mitgefühls und unseres Beileids für die Familie der Verstorbenen jegliches illegale Verhalten von Institutionen und Organisationen unter allen Umständen und betonen und empfehlen die Einhaltung von Grund- und Menschenrechten durch alle staatlichen Stellen. Wir erklären uns auch bereit, die Eltern der Verstorbenen juristisch zu unterstützen.“

Laut dem KHRN seien die Unterzeichnenden des offenen Briefs in den vergangenen Monaten mehrfach und deutlich von der Staatsanwaltschaft Bokan dazu gedrängt worden, die Erklärung zurückzuziehen. Da sie sich geweigert hätten, sei schließlich das Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Die Frist für das Erscheinen zum Verhör läuft am Sonntag aus. Sollten die Anwält:innen den letztgenannten Erscheinungstermin nicht einhalten, können sie unter Umständen zwangsweise von der Polizei abgeholt und zur Vernehmung gebracht werden.