Der irakische Ministerpräsident Mustafa al-Kadhimi hat das ezidische Dorf Koço (Kodscho) besucht. Anlass des Besuchs war das Massaker in der Ortschaft im Verlauf des am 3. August 2014 im Siedlungsgebiet Şengal begonnenen Völkermords durch die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS). In Begleitung einer Delegation führte Kadhimi mehrere Grabbesuche durch und sprach Gebete für die Toten. Am frühen Abend reiste die Abordnung weiter nach Şengal.
„Wir sind heute in Koço, um mit den Menschen hier gemeinsam zu mahnen und ein Verbrechen in Erinnerung zu rufen, das sich der Vorstellungskraft vieler entzieht. Der Schmerz sollte uns Kraft spenden in unserem Kampf gegen den Terror und ein Band sein zwischen den Komponenten des Iraks“, sagte Kadhimi in einer Ansprache. Die Tragödie der ezidischen Gemeinschaft dürfe sich nicht wiederholen, forderte der Minister. „Wir werden die Rechte der Ezid:innen schützen.“ Zu dem heutigen Luftangriff der türkischen Armee auf Şengal, bei dem ein YBŞ-Kommandant und ein Kämpfer sowie drei Zivilist:innen verletzt wurden, äußerte sich Kadhimi nicht.
Kadhimi spricht ein Gebet vor einer Bilderwand mit Fotos von IS-Opfern aus Koço
Das Dorf Koço liegt südwestlich von Şengal-Stadt und wurde 2014 vom IS fast vollständig ausgelöscht. In der Ortschaft lebten zum Zeitpunkt des Überfalls auf Şengal mehr als 1.800 Menschen. Am 15. August verübte der IS ein Massaker, bei dem etwa 600 ezidische Jugendliche und Männer getötet und in Massengräbern verscharrt wurden, weil sie sich weigerten, zum Islam zu konvertieren. Fast 700 Frauen und rund 300 Kinder aus Koço wurden verschleppt und sexuell ausgebeutet beziehungsweise zu Kindersoldaten ausgebildet. Während einige wenige von ihnen fliehen konnten und andere von den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) und der internationalen Anti-IS-Koalition aus der Gefangenschaft der Dschihadistenmiliz befreit wurden, werden rund 400 Menschen aus Koço noch immer vermisst.
Auch ein Besuch bei der 20. Brigade der irakischen Armee stand auf dem Programm
Auch mehr als sieben Jahre nach dem letzten Genozid an der ezidischen Gemeinschaft kommt der Wiederaufbau von Şengal nur langsam voran. Noch immer können die meisten Ezidinnen und Eziden nicht zurückkehren und leben weiterhin in völlig überfüllten Auffanglagern, leiden unter katastrophalen hygienischen Bedingungen, fehlender Gesundheitsversorgung und der Perspektivlosigkeit. Eingesperrt auf engstem Raum, in einer Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit und Armut, ist unter den bereits traumatisierten Ezid:innen eine weitere psychologische Krise ausgebrochen. Immer mehr Menschen in den Camps begehen Suizid.
Noch immer kein Masterplan für Wiederaufbau
Zwar sprach Mustafa al-Kadhimi bei seinem heutigen Besuch in Koço wieder davon, dass der Irak „durch nichts davon abzuhalten ist, das Land wieder aufzubauen und seine politische, ethnische und religiöse Vielfalt zu respektieren”. Einen Masterplan für den Wiederaufbau von Şengal hat die Regierung in Bagdad bis heute nicht vorgelegt. Alles muss von den Ezidinnen und Eziden selbst oder von NGOs organisiert werden.