„In Gare wurde die Besetzung von Südkurdistan verhindert“

Der Journalist Doğan Amed stellt fest, dass der Guerillawiderstand von Gare eine Besetzung von ganz Südkurdistan verhindert hat und die Perspektive für den erfolgreichen Kampf gegen die türkische Invasion im vergangenen Jahr eröffnen konnte.

Am 10. Februar 2021 startete der türkische Staat eine Operation, um die Region Gare in den Medya-Verteidigungsgebieten zu besetzen und von dort aus eine Großinvasion in der gesamten Region einzuleiten. Bei Angriffen mit chemischen Waffen kamen 14 Guerillakämpfer:innen und ein Zivilist ums Leben. Außerdem wurden bei den türkischen Angriffen zwölf von der PKK gefangene türkische Soldaten und Geheimagenten getötet. Mit heftigem Widerstand gelang es der Guerilla jedoch trotzdem, die türkische Armee zurückzuschlagen. Der Journalist Doğan Amed arbeitet in den Medya-Verteidigungsgebieten. Im ANF-Interview gibt er Einblicke in den Widerstand von Gare.

Was hatte der türkische Staat mit seinem Angriff auf Gare beabsichtigt und was passierte bei der Umsetzung des Plans?

Bekanntlich hat der AKP-Führer Erdoğan, nachdem er den Verhandlungstisch umgeworfen hatte, einen gewaltigen Krieg gegen die Freiheitsbewegung und das kurdische Volk gestartet. Vielleicht sieht es aus wie eine Allianz nur aus AKP und MHP, aber die Realität ist eigentlich anders. Erdoğan hat all jene, die dem kurdischen Volk feindlich gesinnt sind, unter einem Dach versammelt. Ihr Ziel war es, mit all ihrer Kraft anzugreifen und nichts mehr, was als kurdisch oder Kurdistan bezeichnet werden kann, zu hinterlassen. Fast alle, die sich dem Erdoğan-Regime widersetzten, wurden in der Türkei ausgeschaltet. So begann ab 2015 ein großer Krieg. Zahlreiche groß angelegte Invasionsangriffe wurden gegen die Guerillagebiete durchgeführt. Zusätzlich zu diesen Angriffen wurde ein Spezialkrieg geführt. Sie traten jeden Tag vor die Kameras und behaupteten, sie hätten die Guerilla vernichtet. Sie wollten das Volk und die Guerilla voneinander trennen.

Zehntausende Menschen wurden festgenommen und unter den sogenannten Ausnahmezustandsgesetzen inhaftiert. Dem AKP/MHP-Regime gelang es jedoch nicht, einen Sieg über die Guerilla zu erringen. So ging es bis Anfang 2021 weiter. Der türkische Staat hatte sich diesmal einen sehr großen Plan überlegt. Offiziell begann er mit einer Operation, um die von der PKK gefangen genommenen Soldaten zu retten. Das eigentliche Ziel war jedoch, das Herz der PKK zu besetzen. Nach diesem Plan hätte der türkische Staat, wenn Gare gefallen wäre, alle Guerillagebiete eingenommen. Es gab eine siebenmonatige Vorbereitung auf diesen Invasionsangriff. Der Staat erhielt auch Unterstützung von internen und externen Kräften. Mit Hilfe von Parastin, dem Geheimdienst der PDK, sammelte der MIT viele Informationen. So wurde die Gare-Operation sehr tiefgreifend vorbereitet, aber eins wurde vergessen: Der Widerstand der Guerilla. Der faschistische türkische Staat nutzte alle Arten von Angriffsmethoden einschließlich chemischer Waffen, konnte aber den Widerstand der Guerilla nicht überwinden. Gare wurde so zu einer Falle für den türkischen Faschismus, und der türkische Staat steckte mit seiner Niederlage sowohl militärisch als auch politisch einen schweren Schlag ein.

Wie konnte die Guerilla erfolgreich sein? Zu welchen Veränderungen hat dies im kurdischen Volk und bei der Guerilla geführt?

Seit 40 Jahren führt die Guerilla einen Befreiungskrieg gegen den völkermörderischen türkischen Staat. In diesen 40 Jahren wurden historische Etappen durchlaufen. Es gab viele kritische Phasen. In diesen Etappen wurden große Erfolge erzielt. Einer davon ist der Sieg der Guerilla in Gare. Denn die Kämpferinnen und Kämpfer der HPG und YJA Star leisteten mit großer Opferbereitschaft Widerstand. Die türkische Armee setzte vier Tage lang ihre gesamte Technik und chemische Waffen gegen die Guerilla ein. Die Guerilla kämpfte jedoch mit größter Entschlossenheit und siegte. Die Guerillakämpfer:innen, die unter der Führung des Gefallenen Şoreş Beytüşebap kämpften, zeigten einmal mehr, dass der Widerstand nicht ohne Opfer sein kann. Natürlich handelte es sich bei dem Sieg in Gare um einen historischen Sieg. Denn er hat heute und für die Zukunft sehr wichtige Ergebnisse hervorgebracht. Die Guerilla hat mit ihrem Kampf in Gare Professionalität in vielen neuen Taktiken gewonnen. Vor allem die Taktik des Tunnelkriegs wurde zum ersten Mal angewendet und die Guerilla konnte viele Aktionen durchführen. Alle diese neuen Methoden wurden auf der Grundlage eines entschlossenen Apoismus entwickelt.

Der Sieg verstärkte auch die nationalen Gefühle des kurdischen Volkes. Die Menschen haben wieder einmal gesehen, dass, egal wie sehr der Feind angreift, er die Guerilla nicht vernichten kann. Im Gegenteil, die Guerilla wird stärker. Der Gare-Widerstand hat das Vertrauen des Volkes in die PKK weiter gestärkt.

Was wäre gewesen, wenn die Türkei in Gare gesiegt hätte? Was hätte das vor allem für Südkurdistan bedeutet?

Es ist bekannt, dass die Familie Barzanî die PDK den Besatzern nach den 1990er Jahren auf einem goldenen Tablett überreicht hat. Der türkische Staat nutzt diese Kollaboration auf höchstem Niveau und greift das kurdische Volk und die PKK an. Diese Situation und die Kollaboration haben sich von Tag zu Tag überall weiter intensiviert. Gare ist ein strategischer Ort. Es ist ein weitläufiges Gebiet und das Zentrum des Guerillakriegs.

Der türkische Staat hat für diese Operation große Zugeständnisse von internationalen Mächten, insbesondere der NATO und den Vereinigten Staaten erhalten. Die größte Unterstützung kam jedoch von der PDK. Die PDK hat dem Erdoğan-Regime in den Bereichen Geheimdienst, Logistik und Propaganda massiv Hilfe geleistet.

Wenn also das türkische Militär in Gare erfolgreich gewesen wäre, wäre dies ein neuer Schritt zum Abschlachten des kurdischen Volkes gewesen. Das Erdoğan-Regime hatte schon alle Pläne vorbereitet. Ein riesiges Budget wurde für den Kampf gegen die Freiheitsbewegung ausgegeben. Mit anderen Worten, der türkische Staat wäre in der Lage gewesen, Südkurdistan vollständig zu besetzen. Der türkische Geheimdienst MIT ist in Südkurdistan fast so weit verbreitet wie der Parastin. Es gab massiven Druck auf die Bevölkerung. Wenn der türkische Staat in Gare Erfolg gehabt hätte, hätte dieser Druck seinen Höhepunkt erreicht. Aber der Sieg der Guerilla hat diese große Gefahr abgewendet.

Was sind die Konsequenzen, die das kurdische Volk für seine Politik aus dem Widerstand von Gare zieht?

Das wichtigste Ergebnis des Gare-Sieges ist der Beleg, dass die kurdische Guerilla niemals besiegt werden wird. Das kurdische Volk und alle politischen Parteien haben gesehen, dass die Apoist:innen, die mit dieser Entschlossenheit Widerstand leisten, niemals verlieren werden. Egal wie mächtig die Invasoren sind, sie werden gegen die PKK keinen Erfolg haben. Diejenigen, die die Freiheit der kurdischen Nation anstreben, müssen sich dem Guerillawiderstand anschließen. Alle politischen Parteien und das gesamte kurdische Volk sollten sich gemeinsam gegen die türkische Besatzung und die Kollaboration der PDK stellen.

Wollen Sie noch abschließend etwas anmerken?

Als Journalistinnen und Journalisten verfolgen wir den Guerillawiderstand genau. Ich kann sagen, dass der Sieg von Gare eine historische Errungenschaft darstellt. Dieser Erfolg wird langfristig viele wichtige Ergebnisse bringen. Natürlich war der Kampf in allen Medya-Verteidigungsgebieten im Jahr 2021 das Ergebnis des Sieges von Gare. In Zendûra, Mamreşo, Girê Sor, Werxelê und vielen anderen Gebieten besiegten Guerillakämpfer:innen mit der apoistischen Entschlossenheit von Gare den türkischen Staat. Dieser Erfolg muss richtig verstanden werden. Die Guerilla ist die Kraft, die den Völkermord am kurdischen Volk verhindert.