Das Jahr 2021 aus Guerillaperspektive – Teil 2

Im fortschreitenden Jahr 2021 zeigte sich der Erfolg der neuen Guerillataktiken. Trotz Militärfestungen, Chemiewaffen und mordernster Kriegstechnologie gelang es der Guerilla, die türkische Armee zu besiegen.

Nach der Niederlage der türkischen Armee in Gare und dem Rückzug der Besatzungstruppen begann für die Guerilla eine Phase der Auswertung der viertägigen Invasion. Unzulänglichkeiten und Mängel wurden bewertet und notwendige Anpassungen in allen Guerillagebieten umgesetzt. Innerhalb von zwei Monaten mussten ernsthafte Vorbereitungen unter erschwerten Bedingungen getroffen werden. Während die Angriffe des türkischen Staates fortgesetzt wurden, griffen auch die Kräfte der PDK aktiv ein und versuchten die Kommunikationswege zwischen den Guerillagebieten zu unterbrechen, um die notwendigen Vorbereitungen zu verhindern. Trotz des Zeitdrucks und der Angriffsversuche bereiteten sich die Medya-Verteidigungsgebiete überall auf deutlichem Niveau vor. Der Gare-Sieg hatte den Guerillakräften große Vorteile verschafft, sowohl in Bezug auf die Moral als auch Stil und Taktik der neuen Ära. Gare hat gezeigt, dass der türkische Staat an einer Guerillaeinheit trotz all seiner Technik scheitern kann und in seiner Niederlage zu jeder Gräueltat in der Lage ist.

Die Guerillakräfte wurden in allen Bereichen in Alarmbereitschaft versetzt und bereiteten sich akribisch darauf vor, den Feind bereits beim ersten Angriffsversuch zu schlagen. Eine umfassende Invasion des türkischen Staates wurde in sämtlichen Regionen der Medya-Verteidigungsgebiete erwartet.

Der neue umfassende Angriff

Die Bewegungen im Luftraum über den Guerillagebieten nahmen zu, ein Geschwader Kampfjets löste das nächste ab. Bewaffnete und unbewaffnete Drohnen kreisten permanent über der Region. Ab dem 19. April gab es intensive Luftangriffe auf mehrere Ziele, parallel sind die Guerillagebiete wiederholt mit Granaten aus Haubitzen und Mörsern von Militärstützpunkten an der türkischen Grenze aus schwer beschossen worden. Diese Aktivität läutete den Beginn einer neuen Invasion ein. Am Abend des 23. April tauchten Informationen darüber auf, dass die türkische Armee versucht, Infanterieeinheiten mit Hubschraubern in den Gebieten Avaşîn, Zap und Metîna abzusetzen. Die Guerillagebiete wurden schwer bombardiert. Ziel war es, die psychologische Überlegenheit der Guerilla zu brechen und das Verteidigungssystem zu beseitigen, bevor die türkischen Truppen landeten.

Die schweren Bombardierungen durch den türkischen Staat wirkten so, als würde man hier einen Staat bekämpfen. Die grundlegende Taktik der türkischen Armee basierte auf der Annahme, mit intensivem Bombardement könnte das Verteidigungssystem der Guerilla gebrochen werden. Unter dem Schutz der Angriffe sollten Truppen abgesetzt und Gipfel besetzt werden. Auf diese Weise wird seit Jahren ein technologischer Krieg gegen die Guerilla geführt.

Truppen konnten nicht wie geplant abgesetzt werden

Als die Guerilla in den ersten Morgenstunden über Funk über die aktuelle Lage informierte, wurde klar, dass es sich bei dem Angriff um die erste Phase einer umfassenden Invasion der gesamten Medya-Verteidigungsgebiete handeln sollte. Hubschrauber hatten in der Nacht dutzende Male versucht, Truppen in den Gebieten Avaşîn, Zap und Metîna abzusetzen. Sie wurden jedoch zum Rückzug gezwungen, nachdem sie mehrmals durch die Guerilla mit schweren Waffen getroffen worden waren. Die abgesetzten Soldaten hatten keinen Bewegungsspielraum und warteten auf Verstärkung. Sie wurden von Aufklärungsflugzeugen gesichert und ihre Umgebung wurde permanent bombardiert, um sie vor Guerillaaktionen zu schützen.

Der türkische Staat wurde bereits in den ersten Minuten von Guerillakräften getroffen und konnte nur einen kleinen Teil seiner Truppen absetzen. Die schweren Bombardements zielten zunächst darauf ab, Guerillakräfte zu treffen und das Verteidigungssystem zu beseitigen. Die Guerilla schützte ihre Einheiten und verstärkte ihr Verteidigungssystem, indem sie sich in kleinen mobilen Einheiten im Gelände und in Tunnelsystemen gegen die schweren Bombardements in Stellung brachte. Während das Bombardement weiterging, konnten die Guerillakräfte jeden Schritt der türkischen Armee beobachten und sie angreifen, sobald sie sich in Reichweite befand. Als die Soldaten getroffen wurden und nicht mehr in der Lage waren vorzurücken, wurden sie abgezogen und die Bombardierungen begannen von Neuem. Ab dem Moment, als sich die Soldaten zurückzogen, verschwanden die Guerillakräfte im Nichts. Die Haupttaktik der türkischen Armee bestand darin, Auseinandersetzungen mit der Guerilla zu provozieren, auf diese Weise die Einheiten zu lokalisieren und sie dann unter schweres Bombardement zu stellen. Das Verteidigungssystem der Guerillakräfte war sehr effektiv und effizient; Kämpferinnen und Kämpfer in den Kriegstunneln und mobile Einheiten im Gelände führten in ständiger Koordination Aktionen durch. Währenddessen hatte der türkische Staat keinen Erfolg mit seinen Angriffen auf das Kommunikationssystem der Guerilla.

Erfolg der Taktik der neuen Ära

Um den Radius der mobilen Einheiten einzuschränken und in eine Position zu gelangen, aus der die Kriegstunnel mit aller Macht angegriffen werden könnten, wurden Soldaten bis tief ins Gelände hinein verteilt. Der Kampf gegen dieses Armeeeinheiten wird an folgendem Beispiel deutlich: Zwei Guerillakämpfer:innen in Avaşîn stellen fest, dass eine feindliche Einheit im Gelände unterwegs ist. Sie verfolgen die Einheit, um die Situation aufzuklären. Dann bemerken sie, dass sie sich bereits bei der verstreuten feindlichen Einheit befinden. Die beiden Kämpfer:innen greifen die Einheit mit einer Sabotagetaktik an. Die Soldaten versuchen zu ihrer Verstärkung zu gelangen. Die beiden Guerillakämpfer:innen haben sich schon auf dem Weg der Soldaten stationiert und greifen die Armeeinheit aus dem Nahabstand an. All dies geschieht an einem Tag, die türkische Armee erleidet dutzende Verluste. Aufklärungsflugzeuge sind vier Tage lang praktisch nonstop unterwegs, können die beiden Guerillakämpfer:innen aber nicht lokalisieren. Am Ende des vierten Tages erreichen diese unbeschadet ihre Einheiten.

Dieses Beispiel zeigt das Niveau der Guerillataktik der neuen Ära deutlich. Es vermittelt ein Bild von dem, was der menschliche Wille erreichen kann. Obwohl es nur zwei Menschen waren, haben sie Erfolg, weil sie mit Überzeugung und Entschlossenheit kämpfen und über einen Willen aus Stahl verfügen.

Verhinderung des türkischen Vormarschs

Den Guerillakräften in den Kampftunneln und den mobilen Einheiten gelang es, die Invasion der türkischen Armee bis Mai einzudämmen und den Vormarsch zu blockieren. Das qualitative Niveau der Vorgehensweise wurde in dieser Guerillaoffensive klar und deutlich. Die am Girê Piramît in Avaşîn demonstrierte Kampfkraft bewies, dass der Besatzungsangriff eingedämmt werden kann und gleichzeitig revolutionäre Offensiven möglich sind. Die Guerillakräfte waren in der Lage anhand permanenter Auswertung des Vorgehens ihren Umstrukturierungsprozess anzupassen und so die Taktiken der neuen Ära in jeder Hinsicht zu bereichern.

Die Luftverteidigungskräfte der Guerilla

Auf der anderen Seite nutzte die Guerilla die vorhandene Technologie, um ihre eigene Luftverteidigungskraft zu schaffen. Die Luftangriffe der Şehîd-Delal-Luftverteidigungseinheiten führten zu einer massiven psychischen Belastung der einmarschierenden türkischen Soldaten. Die Drohnen dieser Einheiten waren wahrscheinlich die einzigen, die bisher in der Lage waren in den Luftverteidigungsraum der NATO einzudringen und Aktionen durchzuführen. Einer der Faktoren, die die türkische Armee schon während des Gare-Angriffs schockiert hatten, waren die Aktionen der Luftverteidigungseinheiten. Während dutzende von Aufklärungsflugzeugen in der Luft waren und aktive Kampfhubschrauber über dem Gelände kreuzten, beobachteten diese Kräftte die feindlichen Flugobjekte und Soldaten und warfen Bomben ab.

Rückgriff auf chemische Waffen

Am zehnten Tag der Invasion startete die türkische Armee mit dem Einsatz von Chemiewaffen, als sie am Mamreşo den Widerstand in den Kriegstunneln nicht brechen konnte. Während der Gare-Operation hatten die Guerillakräfte intensive Maßnahmen gegen den Einsatz von chemischen Kampfmitteln ergriffen, aber in der Region Mamreşo reichten die Vorkehrungen nicht aus. Dies wird bis heute von der Guerilla untersucht. Es kamen Dokumente ans Licht, aus denen hervorging, wie hilflos der türkische Staat gegen den Guerillawiderstand dastand und zu welchen Methoden er deshalb griff. Der türkische Staat, der von immer neuen Schlägen der Guerilla getroffen wurde, versuchte bis Mitte Mai seine Offensive auszuweiten, konnte aber nicht vorrücken. Er versuchte Truppen auf den Gipfeln von Mamreşo, Merwanos, Zendûra und Qela Bedewê zu stationieren. Dort waren Soldaten bereits am Anfang der Invasion abgesetzt worden. Am 1. Juni war die türkische Armee gezwungen, sich aus Dola Mara, Dola Konferansê und Tabûra Ereban in Avaşîn zurückzuziehen.

Die türkische Armee ging nun am 7. Juni erneut zum Angriff über. Die PDK hatte zuvor ihre Truppen in Metîna zusammengezogen. Diesmal befanden sich die Gebiete Werxelê und Girê Sor in Avaşîn im Visier der Besatzungstruppen. Die Armee griff die Kriegstunnel mit aller Macht und mit chemischen Waffen an. Der gesamte Fokus war auf die Verteidigungsanlagen gerichtet. Obwohl die kriegsverbrecherischen Methoden des türkischen Staates aufgenommen und veröffentlicht wurden, ignorierten alle Staaten und Institutionen diese Dokumente. An dieser Stelle wird deutlich, was hinter den Kulissen des Berlin-Besuchs von Hulusi Akar diskutiert worden war.

Der Widerstand von Werxelê, Zendûra und Girê Sor dauerte monatelang ohne Pause an. Psychologische Kriegsführung, schwere Bombardements, chemische Waffen und tonnenweise Sprengstoff wurden jeden Tag von neuem gegen die Tunnel eingesetzt. Die Guerillakämpfer:innen in den Gebirgsmassiven widerstanden mit übermenschlicher Entschlossenheit und stellten damit eine große Motivation für den gesamten Guerillakampf dar. So wurden die neuen Formen und Taktiken noch schneller verbreitet und umgesetzt. Von Aktionen aus der Luft, über koordinierte Angriffe mehrerer Einheiten, bis hin zur Infiltration feindlicher Stellungen, Attentaten, dem Überrennen von feindlichen Stellungen und Sabotageaktionen waren die Guerillakräfte in allen Bereichen in höchster Aktivität.

Der türkische Staat zielte mit der Ausweitung des Einsatzes von Chemiewaffen insbesondere darauf ab, einen psychologischen Effekt bei den Kämpfer:innen zu erzeugen und ihren Widerstand zu brechen. Gegenüber der Guerilla wurden die Invasionstruppen aber immer stärker in die Defensive gedrängt. Sie wurden selbst Opfer der psychologischen Kriegsführung und es ging jetzt nur noch darum, die Soldaten auf Gipfeln, auf denen sie am Anfang der Operation abgesetzt worden waren, zu halten und sie vor der Guerilla zu schützen. Von Zeit zu Zeit gab es lokale Truppenbewegungen in den Regionen Kartal und Stûnê in Avaşîn. Diese Bewegungen zielten jedoch darauf ab, die Konzentration von Guerillakräften aufzulösen und ihre eigenen Stellungen zu festigen. Wenn sie sich vollständig zurückgezogen hätten, hätten sie ihre Misere nicht mehr verbergen können. Aus diesem Grund versuchten sie, so schnell wie möglich Festungen an diesen Positionen zu errichten, in denen sie ihre Soldaten einsperren können.

Der türkische Staat konnte sich angesichts des Widerstands der Guerilla nicht halten. Er war gezwungen sich aus Werxelê, Tabûra Ereban und Stûne zurückzuziehen. Die Niederlage der türkischen Armee, die in diesem ungerechten Krieg gegen die Guerilla trotz ihrer enormen Mittel viele Male besiegt worden war, ist unvermeidlich. Als die Guerilla die Theorie des Kampfes der neuen Ära gegen die heutige Kriegstechnologie entwickelte, wurden ihre Bemühungen von einigen Kollaborateuren als unmögliches und vergebliches Unterfangen bezeichnet.

Die Ergebnisse des einjährigen Krieges sind konkrete Beweise dafür, dass die Freiheitsguerilla Kurdistans genau das erreicht hat, was damals als unmöglich bezeichnet wurde. Keine Festung, keine Kriegstechnologie und keine chemischen Waffen können die Besatzer schützen. Wenn wir uns die letzte Aktion des Jahres ansehen, können wir diese Tatsache leicht erkennen. Die türkische Armee wurde auf dem Girê Şehîd Munzur in Zap innerhalb von zehn Minuten von der Guerilla vom Gipfel gefegt. Die Soldaten flohen und ließen ihre Toten und ihre militärische Ausrüstung zurück. Die Guerilla erlitt bei dieser erfolgreichen revolutionären Operation keine Verluste.

Das Endergebnis wird sich nicht ändern: die Guerilla wird siegen, denn das Wasser fließt nicht rückwärts.