„Gever ist in ein offenes Gefängnis verwandelt worden“

Wie in allen Hochburgen des kurdischen Widerstands wendet der türkische Staat auch in Gever gezielte Maßnahmen an, um die Bevölkerung zu disziplinieren und abhängig zu machen. Die Jugend wird über Drogen und Prostitution entpolitisiert.

In der Kreisstadt Gever (tr. Yüksekova, Provinz Colemêrg/Hakkari) galt 2016 eine monatelange Ausgangssperre. Seitdem sind fünf Jahre vergangen. Während des Verbots wurden über 5000 Häuser und Geschäfte zerstört, Zehntausende Menschen verloren ihr Zuhause. Seit der Zerstörung von Gever forciert der türkische Staat einen demografischen Wandel und fördert Prostitution und Drogenkonsum.

Abdulkerim Akdoğan, Kreisverbandsvorsitzender der Demokratischen Partei der Völker (HDP) in Gever, hat sich gegenüber ANF zu dieser speziellen Politik des türkischen Staates und dem Druck auf die Gesellschaft geäußert. Der Politiker sagt, dass die AKP den Erfolg der HDP bei den Wahlen vom 7. Juni 2015 zum Anlass genommen hat, alle Hochburgen seiner Partei gewaltsam anzugreifen. Seit der staatlichen Zerstörung von Gever im Jahr 2016 soll die Bevölkerung über Armut diszipliniert werden.

„Unser Volk will nur Frieden, Gleichheit und Freiheit. Wir bewegen uns ständig in der Bevölkerung und die Menschen sagen immer, dass ihnen ein voller Magen nichts nützt und keine Ruhe in der Region einkehren wird, solange es kein Rechtssystem und keine Freiheit gibt. Gegen die Menschen von Gever wird eine besondere Politik angewendet. Sie sollen mit Hunger diszipliniert werden, die Gesellschaft soll sich von ihrer eigenen Realität entfernen. Mit dieser Politik will der Staat die Menschen von sich abhängig machen und eine Distanz zur Wirklichkeit herstellen. In diesem Zusammenhang wird auch die demografische Struktur der Region gezielt verändert“, erläutert Akdoğan.

Die Bevölkerung unterwirft sich der Staatspolitik nicht“

Laut Abdulkerim Akdoğan sind der Bevölkerung aufgrund der Verbote in der Region die Hände gebunden: „Seit 2017 bis heute sind achtzig Prozent der gesamten Fläche der Provinz Colemêrg militärisches Sperrgebiet. Alle unbesiedelten Gebiete sind gesperrt. Die Menschen können nicht in ihre eigenen Orte gehen, nicht in ihre Dörfer und auf die Hochweiden. Es gibt einige Gebiete, die mit einer Genehmigung betreten werden können, aber nur wenn der Wohnsitz sich dort befindet. Ortsansässige können Gegenstände und Waren nur nach einer festgelegten Quote mitbringen. Dieses Verbot dauert seit vier Jahren an. Die Menschen können kein Holz sammeln und keine Landwirtschaft betreiben. Der Staat will das Volk mit Hunger unterwerfen. Gever ist in ein offenes Gefängnis verwandelt worden. Die Bevölkerung hat sich dieser Politik jedoch niemals gebeugt.“

Verbotsverfügung statt Verfassungsrecht

Der HDP-Kreisverbandsvorsitzende Akdoğan unterstreicht, dass die Verbote in Gever rechtswidrig sind: „Das Versammlungsverbot wird laufend verlängert, als Begründung dient die Pandemie. Vor ein paar Tagen haben wir eine Erklärung zu Deniz Poyraz abgegeben. Um das zu verhindern, sind Hunderte Soldaten losgeschickt worden. Ich habe den Polizeichef darauf hingewiesen, dass das illegal ist, und ihn gefragt, ob die Verbotsverfügung des Gouverneurs seiner Meinung nach über der Verfassung steht. Wir nehmen die Verbote des Gouverneurs nicht hin und werden uns niemals wie gewünscht verhalten. Die Regierung erlässt Gesetze, um sich an der Macht zu halten. Diese Gesetze werden der Bevölkerung aufgezwungen.“

Drogen und Prostitution als Mittel der Aufstandsbekämpfung

Gegen die Jugend von Gever wendet der Staat eine besondere Politik an, hält Akdoğan fest: „In Gever werden unter staatlicher Kontrolle Drogen an Jugendliche verteilt. Die Jugend wird angegriffen, junge Frauen werden in die Prostitution getrieben. Damit sind vor allem Polizisten und Staatskräfte beauftragt. Mit dieser Politik soll den Jugendlichen ihre eigene Lebensrealität genommen werden. Wir haben an vielen Stellen auch erlebt, dass Jugendliche bedroht worden sind, damit sie ihr politisches Engagement aufgeben. Die jungen Menschen müssen sich vor diesen Machenschaften schützen und dürfen nicht zulassen, dass unsere Stadt dadurch weiter destabilisiert wird.“